Noch wird kräftig gebaut. Im Dezember 2022 jedoch sollen die ersten ICEs über die Neubaustrecke rauschen. Für die örtlichen Feuerwehren und die Kommunen, auf deren Gebiet die Schienen verlaufen, bedeutet das eine Zusatzbelastung.
Sobald die Züge zwischen Wendlingen und Ulm fahren, gelten Schienen, Tunnels und Brücken als ganz normale Verkehrswege. „Und für die sind im Notfall eben - wie für Straßen auch - die örtlichen Feuerwehren verantwortlich“, sagt der Göppinger Kreisbrandmeister Dr. Michael Reick. Das gilt auch für den Boßlertunnel, dessen unteres Portal zwischen Weilheim und Aichelberg liegt. „Inzwischen ist klar definiert, dass die Feuerwehren Weilheim und Aichelberg im unteren Bereich des Tunnels sowie auf der Strecke davor die ersten Zuständigen sein werden“, weiß Helmut Burkhardt, Ordnungsamtsleiter der Stadt Weilheim. Die Bahn stellt keine eigene Rettungswehr.
„Die Einsatzleitung hat immer der Kommandant jener Feuerwehr, auf deren Gemarkung sich das Ereignis abspielt“, erläutert der Weilheimer Feuerwehrkommandant Norbert Wahl. Ganz neu ist das für ihn und seine Einsatzkräfte nicht: „Seit Baubeginn sind wir für den Boßlertunnel zuständig“, berichtet er. Allerdings hatte es in der Rohbauphase Unterstützung von einer Baustellen-Rettungswehr gegeben. Dazu kommt, dass sich die Art der möglichen Einsätze ändert, sobald die Züge fahren.
Schon lange haben die Ehrenamtlichen begonnen, sich auf die neuen Aufgaben vorzubereiten. Norbert Wahl etwa war in Sachen Tunnelbrand gemeinsam mit seinem Stellvertreter bei einem Lehrgang in der Schweiz. Geübt wird auch vor Ort, unter anderem im Boßlertunnel selbst. „Mit unserer Mannschaft hatten wir bis jetzt etwa zehn Übungen im Tunnel“, berichtet der Kommandant. Aber auch außerhalb wird die neue Einsatztaktik geprobt: „Zum Beispiel in Autobahnunterführungen.“ Das ist nötig, weil das Vorgehen ein völlig anderes ist: „Bei Einsätzen im Tunnel arbeitet man nicht wie in einem normalen Haus“, sagt Norbert Wahl. Zentral sind etwa die Fragen, wo der Rauch hinzieht - er zieht nicht immer zwingend nach oben - , welche Röhre betroffen ist, ob es um einen Brand oder einen Unfall geht.
„Der Stoßtrupp, der löscht oder Personen sucht, muss bei einem Brand auch durch den Rauch laufen“, sagt Norbert Wahl. Klar ist deshalb: „Wir benötigen eine spezielle Ausrüstung.“ Aufgrund der Länge des Tunnels sind Langzeit-Atemschutzgeräte nötig. Auch eine Wärmebildkamera, Handlampen und Bergungstragen werden gebraucht. Diese Ausrüstung wiederum passt nicht auf die aktuellen Fahrzeuge der Weilheimer Feuerwehr. Deshalb schafft die Stadt Weilheim nun früher als eigentlich geplant einen neuen Gerätewagen mit Hebebühne an, auf den - je nach Einsatzart - entweder ein Rollwagen mit Tunnel-Equipment oder ein Rollwagen mit Ausrüstung für normale Einsätze geladen werden kann. 230 000 Euro kostet er, das Land schießt 55 000 Euro zu. Auch ein neuer Einsatzleitwagen mit Digitalfunk wird benötigt, um die Kommunikation im Tunnel sicherzustellen.
Auch den übrigen Kommunen geht es nicht anders, wie Michael Reick berichtet. Weil man am oberen Portal des Boßlertunnels und am unteren Portal des Steinbühltunnels aktuell nicht einfahren kann, haben die Gemeinden im Filstal vier ältere Feuerwehrfahrzeuge umgerüstet und für den Ernstfall an den Tunneleingängen platziert. „Den Kommunen entlang der Strecke bringt das Projekt wenig Einnahmen und viele Ausgaben“, resümiert Michael Reick. Teilweise gibt es Zuschüsse vom Land, teilweise springen die Landkreise ein.
Zwar liegt der Boßlertunnel selbst lediglich auf den Gemarkungen Weilheim, Aichelberg, Gruibingen und Wiesensteig. Weil er aber direkt in das Filstalviadukt übergeht und das wiederum in den Steinbühltunnel, bilden die drei Bauwerke aus rettungstechnischer Sicht eine Einheit: „Die Bahn hat sie quasi zu einem 15 Kilometer langen Tunnel erklärt, der zwischen Aichelberg und Hohenstadt verläuft“, sagt Michael Reick. Tatsächlich kann es also zehn verschiedene Wehren aus drei Landkreisen treffen. „Für die ehrenamtlichen Feuerwehren sind 15 Kilometer Tunnel schon eine Herausforderung“, sagt Michael Reick. Auch die Koordination ist nicht einfach. „Das ist etwas anderes, als wenn sich in einer Stadt wie Stuttgart eine Berufsfeuerwehr um einen Tunnel kümmert.“