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Über 1000 Menschen demonstrieren in Nürtingen gegen Rechtsextremismus

Protest Die Kundgebung unter der Überschrift „Demokratie verteidigen“ richtete sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und namentlich die AfD. 

Temperaturen um den Gefrierpunkt hielten über 1000 Demonstrierende am Samstag nicht davon ab, auf den Schillerplatz in Nürtingen zu kommen, um einem Aufruf eines Veranstalter-Bündnisses unter dem Motto „Demokratie verteidigen – Nürtingen gegen Rechts“ zu folgen. Diese Zahl beruht auf Schätzungen der Veranstalter und der Polizei. Die Demonstration verlief friedlich, die Polizei hielt sich mit wenigen Kräften im Hintergrund.

Initiiert hatte das Bündnis die Gruppe Fridays for Future Nürtingen. Von den in Parlamenten vertretenen Parteien hatten sich offiziell die Ortsgruppen von Bündnis 90/Die Grünen, die SPD und NT 14 Nürtingen dem Bündnis angeschlossen. Initiator der Aktion war Fridays for Future Nürtingen gewesen, 25 Organisationen und Gruppierungen hatten sich angeschlossen. Zur Teilnahme an der Demo aufgerufen hatte auch die Regionalgruppe Attac Kirchheim und Umgebung mit dem Appell, Flagge zu zeigen und die Demokratie zu verteidigen.

Die Veranstalter nannten als Auslöser des Protestes die jüngsten Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv zu einem geheimen Treffen von bekannten Rechtsextremisten in Potsdam unter Beteiligung von Politikern der AfD und der CDU. Dabei sei es auch um einen sogenannten Masterplan gegangen, wie Menschen mit Migrationshintergrund in großer Anzahl aus Deutschland ausgewiesen werden könnten.

 

Organisatorin freute sich über ein starkes Zeichen

Clara Schweizer von Fridays for Future Nürtingen eröffnete die Demonstration mit den Worten: „Dass sich so viele Leute hier versammelt haben, ist ein starkes Zeichen.“ Die Beteiligung von AfD-Mitgliedern an dem Treffen in Potsdam zeige das wahre Gesicht der Partei, die Angst und Hass verbreite, die Verfassung angreife und mit ihrem Rechtsextremismus eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft sei. Gegen menschenverachtende Pläne müsse man im Alltag einstehen und deutlich machen: „Nicht mit uns, nicht mit unserer Demokratie, Nürtingen ist bunt und solidarisch.“

Mitorganisator Andreas Bierlein wurde drastischer: „Faschistische AfDler tragen ideologisch verbrämte Gedanken in Schule, Verwaltung und Politik.“ Er lobte die klare Positionierung von 30 Oberbürgermeistern aus der Region, die sich in einem Schreiben, dem sich auch Kirchheims OB Pascal Bader sowie Nürtingens Rathauschef Johannes Fridrich anschlossen, gegen Rechtsextremismus stellen.

Andreas Mayer-Brennenstuhl sprach für das Bündnis „Nürtingen ist bunt“, das vor fünf Jahren nicht zuletzt als Reaktion auf politische Positionen der AfD gegründet wurde. Er zeichnete ein Szenarium ohne Menschen mit Migrationshintergrund, mit Fußballmannschaften ohne ihre beliebten Spieler, einer Vorstellung im Staatsballett mit einem stark reduzierten Ensemble, einem geplanten Restaurantbesuch, der nicht gelingt, weil die Gaststätte schließen musste, einem Einbruch bei Dienstleistungen wie zum Beispiel der Pflege oder der Müllentsorgung bis hin zur Industrie, weil die Arbeitskräfte fehlen. „Das wäre die Folge einer Deportation von Millionen von Menschen“, so der Redner. Dazu habe es vom AfD-Bundestagsabgeordneten René Springer bereits Zustimmung gegeben.

 

Plädoyer für eine kulturelle Vielfalt

Dabei habe man der kulturellen Vielfalt einen offenen Lebensstil und nicht zuletzt Wohlstand zu verdanken, betont Mayer-Brennenstuhl. Wer sich gegen die freiheitliche Grundordnung stelle, verwirke die Toleranz der Demokratie. Diese im Grundgesetz verfasste Wehrhaftigkeit der Demokratie gelte es nun unter Beweis zu stellen.

Tim Reeth von den Jusos prangerte ebenfalls antidemokratische Haltungen an, sprach Björn Höcke das Recht auf ein Ministeramt ab und betonte ganz allgemein: „Antidemokraten haben kein Recht auf ein politisches Amt.“ Die Antwort auf die AfD dürfe nicht ein Schulterzucken sein, sondern Widerspruch. Es gelte, auf latente Anhängerinnen und Anhänger in Diskussionen mit Fakten zuzugehen, durchaus mit Freundlichkeit. Er appellierte: „Wir müssen die Demokratie mit Leben füllen, mit Diskussionen im Alltag.“

Julia Rieger sprach für NFANT, dem Nürtinger Netzwerk von Flüchtlingsinitiativen. Sie stellte fest: „In der Flüchtlingsarbeit spüren wir den stetigen Stimmungswandel in der Gesellschaft.“ Aus einem „Wir schaffen das“ sei ein „Wir dulden das“ und nun ein „Wir wollen das nicht“ geworden. Man finde immer weniger Menschen, die bereit seien, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren, was gleichzeitig Platz biete für rechtes Gedankengut. Das sei jedoch auch in der Asylpolitik zu spüren, werde diese gegenwärtig doch verschärft und damit grundlegende Menschenrechte aufgeweicht. Besonders zeige sich dies vor Landtags- und Bundestagswahlen, indem verstärkt abgeschoben werde, auch diejenige, die arbeiten und sich integrieren, nicht selten, weil sie Formfehler oder Bagatelldelikte begangen hätten.

 

Gegen eine Verschärfung des Asylrechts

Dass Asyl anders verstanden werden könne, habe die Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine gezeigt. Engagierte in der Flüchtlingspolitik wünschten sich eine Anpassung für alle Geflüchtete an diese Standards, entgegen der Forderung, diese wieder zurückzuschrauben. Das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ sei nichts anderes als eine massive Verschärfung des Abschiebungsrechts, was Kritiker als inhumane Symbolpolitik bezeichnen. Stattdessen sei wieder Engagement gefragt, die Bereitschaft zu Dialog und Begegnung, zu Menschlichkeit und Empathie, betonte die Rednerin.

Auch Einzelpersonen meldeten sich zu Wort, so zum Beispiel Helmut Hartmann, ehemaliger Gemeinderat und seit Jahrzehnten bekannt als Funktionär der Gewerkschaft IG Metall. „Wir Gewerkschafter wissen, was Solidarität ist, die ist nun gefragt“, sagte er. Es gelte jetzt, es nicht bei einer einmaligen Demonstration zu belassen, sondern andere von den proklamierten Werten zu überzeugen. Und Mafoday Cham, Betreiber des Dembadu Afro Shops und Mitorganisator der jährlichen Afrika-Tage in Nürtingen, der seit 29 Jahren in Deutschland lebt, betonte: „Meine drei Kinder sind hier aufgewachsen, sie kennen nur Deutschland, die jetzigen extremistischen Tendenzen machen mir Sorgen wie noch nie.“

Gegen 16.15 Uhr wurde die Demonstration beendet, das nicht weit entfernte Eine-Welt-Haus lud noch zum Aufwärmen bei heißen Getränken und zu Gesprächen ein.  Uwe Gottwald/tb