Es gibt viele touristische Bücher mit der 111. Von den 111 schönsten Ruhrpottkneipen bis zu den 111 schönsten Strandkörben auf Sylt – oder so ähnlich. In diesem Stil hat Andreas Malessa vor drei Jahren das Buch „111 Bibeltexte, die man kennen muss“ geschrieben. Es wurde bisher 14 000 Mal verkauft, die Hörclips dazu wurden 750 000 Mal heruntergeladen. Der Erfolg des Buches hat sich in der Branche herumgesprochen, auch zum Gütersloher Verlagshaus.
Aus dessen Lektorat kam dann die Anfrage: „Wie sind Sie für dieses Buch an die 111 Bibeltexte herangegangen? Können Sie dazu ein weiteres Buch schreiben?“ Also quasi ein „Making-of“ wie beim Film? Malessa gefällt dieser Vergleich. Es sollte kein hermeneutisches Fachbuch werden. Sondern ein Buch für alle, bei denen die Bibel zu Hause im Regal steht, aber nie gelesen wird. Wie soll man sie auch verstehen, wo anfangen?
Alle sprächen von europäischen Werten, sagt Malessa, aber wo kommen die her? Worauf basieren die Menschenrechte? „Bis heute prägt die Bibel unsere Kultur“, sagt Malessa. Dass ein einzelner Mensch, mit der Berufung auf sein Gewissen, hinsteht und gegen eine übergriffige Obrigkeit sein „Hier stehe ich, Gott helfe mir, ich kann nicht anders“ stellt, das habe der Bibelübersetzer und Reformator Martin Luther erfunden. Doch wo bekommt das Gewissen seinen Maßstab her? „Dieses Buch erklärt, wie die Bibel den menschlichen Kompass kalibriert“, sagt Malessa.
Fortschritt im Umgang mit Frauen
Jeder mit Grundkenntnissen in Geschichte kennt John F. Kennedys legendären Satz „Ich bin ein Berliner“, gesprochen im Juni 1963 in der geteilten Stadt. Wollte der amerikanische Präsident damit sagen, er sei dort geboren oder zumindest aufgewachsen? Das könnte einer glauben, der den Satz völlig ohne Zusammenhang liest. Es mag lächerlich klingen, wird aber bei der Bibel durchaus so gemacht. Dann widerspricht vielleicht ein Anhänger der historisch-kritischen Methode und kommt nach dem Studium aller Berliner Geburtsurkunden zum Schluss: Kennedy hat gelogen. Doch das Aktenstudium würde in diesem Fall nicht helfen, schreibt Malessa. Erst vor dem politischen Hintergrund – mit Berlin-Blockade und Mauerbau – werde die Bedeutung klar, der magische Moment – und die Schutzerklärung, die Kennedy der Berliner Bevölkerung gab. „Die Wahrheit, die Wucht und die Wirkung der Worte Jesu werden nicht dadurch geschmälert, dass man sie in ihren historischen Kontext stellt“, schreibt Malessa im 13. Kapitel. Manchmal bringe erst der Kontext den Text zum Leuchten. Malessa ist es völlig fremd, die Bibel entzaubern zu wollen – entscheiden zu wollen, was so ja auf gar keinen Fall passiert sein kann. Aber er betont, wie wichtig der zeitliche Rahmen ist. Erst wer die gesellschaftliche Stellung der Frauen zur Zeit Jesu kenne, wisse, wie fortschrittlich bis skandalös Jesu Umgang mit ihnen war.
Was ist in der Bibel zeitbedingt, was gilt ewig? Warum tragen nicht alle frommen Männer einen Bart, wenn es doch im Alten Testament ein Rasurverbot gibt? Mit Martin Luther plädiert Malessa für die „christologische Brille“: Wie hat Jesus gehandelt, was hat er gewollt, wie ist er mit den jüdischen Heiligen Schriften umgegangen?
Dass dann mitten im Fragen nach Zusammenhängen und Hintergründen ein Satz aus der Bibel den Menschen ermutigt und mitten ins Herz trifft, das kennt Malessa auch. So etwas könne aber auch bei einem Buch von Astrid Lindgren passieren, habe ihm mal einer gesagt. „Ja, aber Astrid Lindgren hat beim Schreiben ganz sicher nicht an Andreas Malessa gedacht.“ Das sei beim Gott der Bibel, der letztlich hinter den 66 Büchern aus vielen Jahrhunderten steht, anders: „Ich glaube, dass Gott an mich gedacht hat.“
Info Andreas Malessa, Und das soll man glauben? Warum ich der Bibel trotzdem vertraue. Gütersloher Verlagshaus, 2024. 192 Seiten, 20 Euro.