Weilheim · Lenningen · Umland
Überrascht vom eigenen Erfolg

Integration Hamze Al Assali ist als Jugendlicher nach Deutschland geflohen. In seinem Reinigungsdienst beschäftigt er mittlerweile 45 Mitarbeiter. Von Kai Müller​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​

Hamze Al Assali schüttelt den Kopf. „Ich weiß heute nicht, wie ich das alles geschafft habe“, sagt der 23-Jährige. Aber er habe immer ein Ziel vor Augen gehabt. Seine Lebensgeschichte ist nicht die vom Tellerwäscher zum Millionär. Das ist auch zu abgedroschen, aber sie zeigt, was möglich ist, wenn man an sich glaubt, und es ist eine Geschichte, die auch anderen ein wenig Mut machen kann.

Al Assali ist 2015 nach Deutschland gekommen. Aufgewachsen ist er in Syrien, in der Stadt Yabroud, 70 Kilometer von Damaskus entfernt. Weil es dort kaum Perspektiven gab, lebte die Familie eine Zeit lang in Saudi-Arabien, ab 2006 wieder in Syrien. „Als der Krieg begann, konnte ich nicht mehr in die Schule gehen“, erzählt Al Assali. 2015 ereilt die Familie ein Schicksalsschlag, der Bruder wird in den Kriegswirren schwer verletzt. „Er hat ein Auge verloren, auf dem anderen konnte er nur noch zehn Prozent sehen“, sagt der junge Syrer. Die Familie flüchtet zur Behandlung in den Libanon. Sein Cousin ist Arzt in Kiel und schlussendlich landet die Familie in Deutschland, auch weil dort dem Bruder geholfen werden kann. Im Libanon hätte Al Assali seinen Hauptschulabschluss machen können, doch der Flug geht zu früh. Er verpasst die Prüfung.

 

Ich hab Tag und Nacht nicht geschlafen, weil immer neue Papiere verlangt wurden
Al Assali
über die vielen bürokratischen Hürden

 

In Deutschland heißt es, eine neue Sprache lernen. Der junge Syrer kommt in eine Vorbereitungsklasse. Es dauert, bis der Jugendliche mitreden kann, aber 2017 macht er seinen Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,2. In Deutsch und Mathe ist er noch besser. Al Assali meldet sich für den Realschulabschluss an, hört wieder auf. Er beginnt eine Lehre als Lackierer, bricht diese aber nach drei Monaten wieder ab. Schließlich verdient er sein Geld im Sicherheitsdienst, arbeitet beim Rewe-Lieferservice in Stuttgart.

Dann trifft Al Assali eine Entscheidung, die ihm später die ein oder andere schlaflose Nacht bescheren wird und von deren Erfolg er heute noch überrascht ist. Warum nicht im Nebenjob als Selbstständiger ein bisschen Geld dazuverdienen? 1000 Euro zusätzlich, das wäre doch was.

Nur wenig Schlaf

Im Januar 2022 eröffnet er seinen Reinigungsdienst, nennt ihn „Hand-in-Hand-für-die-Zukunft“. Das Geschäft läuft gut an, Al Assali braucht schnell Mitarbeiter. „Ich habe alles selbst gemacht“, sagt der 23-Jährige. Egal, ob es um die Anmeldungen der Mitarbeiter oder die Betriebsgründung geht, er kümmert sich. Schaut alle möglichen Youtube-Videos, um die Fragebögen und Dokumente richtig ausfüllen zu können. Die Angst treibt ihn um, etwas falsch zu machen. „Ich habe Tag und Nacht nicht geschlafen, weil immer neue Papiere verlangt wurden.“

Seine Verlobte Mareen Seizer unterstützt ihn, wo sie kann. Sein heutiger Vorarbeiter Mohamed Noor Satout spricht ihm Mut zu, wenn er keine Kraft hat, weil er zum Teil nur zwei bis drei Stunden in der Nacht schläft.

Al Assali ist selbst ein bisschen überrascht vom Erfolg seiner kleinen Gebäudedienste-Firma: „Dass das so schnell geht, hätte ich nicht gedacht.“ Er stellt Mitarbeiter ein. Immer mehr Aufträge in der Region Stuttgart und weit darüber hinaus trudeln ein. Mal sind es Busse, die nachts in Ludwigsburg geputzt werden müssen, in Böblingen gilt es 13 Kindergärten zu reinigen, und für ein Großrestaurant in Karlsruhe werden wiederum Spüler und Helfer benötigt. Andere namhafte Kunden heuern ihn mit langfristigen Aufträgen an, darunter auch ein schwäbischer Autobauer. 170 000 Euro Umsatz sind es im ersten Geschäftsjahr– eine stolze Summe. 45 Mitarbeiter beschäftigt der junge Syrer aktuell. Er hat Fahrzeuge und Maschinen angeschafft und ein Büro in Pfullingen eröffnet. Das Besondere daran: „Mit Reinigungen hatte ich am Anfang nicht viel Erfahrung, aber ich habe bei jedem Auftrag viel gelernt.“

In Syrien gibt es keine Zukunft

Derzeit wohnt Al Assali in Kornwestheim bei seiner Freundin und deren Eltern, ist aber häufig auch zu Besuch bei seinen in Frickenhausen lebenden Eltern. Al Assali ist niemand, der nun die Hände in den Schoß legt. Einmal im Monat gilt es, verschiedene Glasfenster in Offenburg und Freiburg zu reinigen: „Das mache ich allein.“ Zwei Tage ist er dafür unterwegs. Al Assali ist ein Schaffer, der längst neue Ziele vor Augen hat: „Ich will ein Haus kaufen, damit auch meine Eltern bei uns wohnen können.“ Er will die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, und in naher Zukunft eine Weltreise machen. Nach Syrien zieht ihn nichts zurück: „Ich bin da geboren, aber dort gibt es keine Zukunft.“

Egal, wie lange man dort arbeite, am Ende des Monats habe man kein Geld mehr für Essen übrig. Es gebe kein Öl, Strom und Wasser und man werde von Armee und Polizei ständig bedroht. Regelmäßig schickt die Familie Geld an die in Syrien verbliebenen Verwandten. Geld, das dort zum Überleben nötig ist: „Anders geht es nicht. Al Assali hat selbst einen guten Freund im Krieg verloren: „Er ist vor meinen Augen gestorben.“ Doch der 23-Jährige blickt jetzt nach vorn, hegt neue Pläne. Aus der Firma soll eine GmbH werden. Er will selbst Meister werden, um auch ausbilden zu können. Zugleich plant Al Assali noch die Sicherheitsdienst-Prüfung bei der IHK abzulegen. Erfahrungen hat er schließlich schon, aber mit dem Abschluss könnte er seiner Firma noch eine weitere Sparte hinzufügen.

Wohin der weitere berufliche Weg noch führt, das weiß wohl auch der 23-Jährige noch nicht ganz genau. Aber eines hat er gelernt: Es ist vieles möglich, wenn man ein Ziel vor Augen hat.