Lenninger Tal
Überreste und ihre Mysterien

Urzeit Gerhard Feller sammelt seit den Fünfzigerjahren Versteinerungen. Heute besitzt er Hunderte, die ab Sonntag in einer Ausstellung im Schopflocher Naturschutzzentrum zu sehen sind. Von Daniela Haußmann

Klackend gleitet der Schlüssel ins Schloss, zwei Drehungen, ein kurzer Ruck und schon öffnet sich die Tür in eine andere Zeit. Wo sich sonst ein Buch ans andere reiht, wandert der Blick im Regal von Stein zu Stein. Muscheln, Seeigel, Schwämme - unter dem Dach von Gerhard Fellers kleiner Gartenlaube lagern zahllose Versteinerungen. Hier, inmitten all dieser fossilen Zeugen des Jurameeres, erwacht für den Ochsenwanger die Erdgeschichte zum Leben. Zwischen weißen und schwarzen Steinen sticht ein großer Ammonit ins Auge. Stolz hebt ihn der Sammler aus dem Regal, und schon fangen die Bilder im Kopf an zu laufen.

Wie ein U-Boot schwebte der Kopffüßer vor Jahrmillionen durchs warme, subtropische Jurameer, das ganz Süddeutschland und damit auch die Schopflocher Alb bedeckte. Damals war Gerhard Fellers Ammonit noch quicklebendig. Die Tentakel und der Kopf des gekringelten Schwimmers ragten aus seiner Wohnkammer heraus. Zum Auftauchen füllte der urzeitliche Meeresbewohner die Ballast- und Auftriebskammern in seinem Gehäuse mit Gas, zum Abtauchen mit Wasser, wie Forscher herausgefunden haben. Das Leben spielte sich in jenen Tagen in den sonnendurchfluteten Wasserschichten ab. Der Meeresgrund hingegen war eine lebensfeindliche Zone, in der es kaum Sauerstoff gab. Giftiger Schwefelwasserstoff ließ hier kaum Leben zu.

Als der Kadaver von Gerhard Fellers Ammonit, irgendwo zwischen Schopfloch und Ochsenwang, auf den Grund des Jurameeres sank, konnten sich also nicht einmal Aasfresser oder Verwesungsbakterien an ihm zu schaffen machen, weiß Reiner Enkelmann, Landschaftsführer im Schopflocher Naturschutzzentrum (NAZ). „Bei Gehäuse- oder Schalentieren entsteht bei der Zersetzung der Weichteile manchmal ein Hohlraum, der“, dem Geograf zufolge, „dann von Mineralien aufgefüllt wird.“ So bleibt bei Ammoniten oder Muscheln ein Innenabdruck des schon lange aufgelösten Gehäuses zurück, der als Steinkern bezeichnet wird. „Über Jahrmillionen sind im Jurameer abgestorbene Pflanzen und tote Lebewesen zusammen mit Sand und Schlamm auf den Grund abgesunken, wo sie Sedimentgestein bildeten, die“, laut Gerhard Feller, „an Mächtigkeit gewannen. Mit jeder neuen Schicht wuchs der Druck auf die untere, deshalb sind Versteinerungen im Schwarzen Jura flacher, als im Brauen oder Weißen Jura.“ Rätselhafte Überreste und mysteriöse Todesumstände über Jahrmillionen in den Felslandschaften der Alb unter Verschluss gehalten - spannender kann kein Krimi sein. Das fand Gerhard Feller schon als Kind. Sein Vater hat ihn mit dem Urzeit-Virus infiziert. „Bis 1975 gab es in Ochsenwang einen Steinbruch, in dem er in den Fünfziger- und Sechzigerjahren gearbeitet hat“, erzählt der 71-Jährige. „Das abgebaute Material wurde im Brecher zerkleinert. So kam manche Versteinerung zum Vorschein, die ich geschenkt bekam.“ Obwohl Gerhard Feller Hunderte von Schwämmen, Muscheln, Ammoniten, Donnerkeilen und andere Zeugnisse der Urzeit besitzt, hat er nie gezielt nach ihnen gesucht. Vielmehr waren es auffällige Formen und Strukturen, die bei der Feldarbeit oder bei Aushubarbeiten fürs Eigenheim sein Interesse weckten. So kam eine stattliche Sammlung zustande, von der einige Exemplare ab 11. März im NAZ zu sehen sind.

Auf seinen wohl spektakulärsten Fund stieß Gerhard Feller in einer Felsspalte: ein Seeigel. Mitte der Fünfzigerjahre, als Ochsenwang eine Kanalisation erhielt, hob jeder Einwohner seinen Hausanschluss selbst aus. Beim Buddeln legten die Fellers eine etwa 40 Zentimeter große Versteinerung frei. „Da war ich völlig von den Socken. Der Ammonit kam sofort in eine Kiste“, erinnert sich der 71-Jährige, der noch immer bedauert, dass der Tierarzt seinem Vater den Fund für 20 Mark abluchste. „Bevor der Veterinär nach dem Vieh sah, hielt er in den Häusern nach Raritäten Ausschau. Das war bekannt“, so Feller, den der Verlust ärgert. Die Lust am Sammeln hat er aber nicht verloren. Rings um Ochsenwang grub er immer wieder Bohnerze aus, die im 17. und 19. Jahrhundert auf der Schopflocher Alb als wichtiger Rohstoff zur Eisengewinnung abgebaut wurden.

Langsam lässt er sich auf einen wackeligen Hocker sinken, und während er sich entspannt mit dem Rücken an die Laubenwand lehnt, genießt er von seinem Logenplatz aus den Ausblick auf eine längst versunkene Welt.