Zwischen Neckar und Alb
30-Jähriger soll fast sieben Jahre in Haft

Justiz Im Prozess um eine Messerattacke auf Polizisten sieht die Anklage die Tat als erwiesen an.

Region. Es geht um seine Freiheit, sein weiteres Leben. Doch das scheint den Angeklagten vor dem Stuttgarter Landgericht wenig zu interessieren. Mit unbeweglicher Miene hört er sich das von der Staatsanwältin geforderte Strafmaß von sechs Jahren und neun Monaten Freiheitsentzug - unter anderem wegen versuchten Totschlags - an. Dem 30-Jährigen wird unter anderem eine Messer- attacke gegen zwei Polizisten in einem Mehrfamilienhaus im Esslinger Stadtteil Brühl im Juni dieses Jahres zur Last gelegt.

Ausführlich hatte Professor Nenad Vasic als psychiatrischer Gutachter den seelischen Gesundheitszustand des Angeklagten analysiert. Er diagnostiziert bei dem 30-Jährigen eine schizo-affektive Psychose, eine depressive Erkrankung könne zudem nicht ausgeschlossen werden. Der Experte spricht von einer verminderten Schuld- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Es bringe wenig, den Beschuldigten für mehrere Jahre in einer Justizvollzugsanstalt ohne begleitende therapeutische Maßnahmen zu inhaftieren. Die Gefahr weiterer gewalttätiger Delikte nach der Haftentlassung seien wegen der „tief greifenden psychischen Störung“ sonst gegeben.

Keinen Plan fürs Leben

Im bis dahin geradlinig verlaufenden Leben des Angeklagten mit Fachhochschulreife, Bundeswehr, Ausbildung, Berufstätigkeit im Lehrbetrieb und begonnenem Studium habe es nach einem Praxissemester einen Bruch gegeben, so Nenad Vasic. Nach den negativen Erfahrungen im Praktikumsbetrieb mit Mobbing, Grabenkämpfen zwischen Kollegen und einem sehr schlechten Zeugnis habe es bei dem Angeklagten einen Rückzug und einen Leistungsknick gegeben. Seither sei er nicht wieder auf die Beine gekommen und habe auch keinen Plan für sein weiteres Leben entwickelt.

Die Diagnosen des Experten griff die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer auf. Sie regte die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an. Und die Juristin ließ die Verbrechen noch einmal Revue passieren. Am 21. November vergangenen Jahres habe der junge Mann im Flur des Mehrfamilienhauses, in dem er damals noch bei seiner Mutter lebte, mehrmals mit einer Schreckschusspistole um sich geschossen. Dann habe er die Tür zu dem über der Wohnung seiner Mutter liegenden Apartment eingetreten und einem der Bewohner ins Gesicht geschlagen. Er habe, so hatte der Angeklagte an einem früheren Verhandlungstag verlauten lassen, geglaubt, in dieser Wohnung würden Kinder missbraucht und prostituiert. Als ihn Polizisten am darauffolgenden Tag in eine psychiatrische Anstalt bringen wollten, habe er sich so stark zur Wehr gesetzt, dass einem der Beamten der Finger gebrochen wurde.

Am 8. Juni wurde der Angeklagte erneut auffällig. Polizisten, die ihn auf Bitten seiner Mutter aus der Wohnung bringen wollten, habe er mit einem Messer angegriffen und einem der Beamten drei Stichverletzungen zugefügt. Hier geht die Staatsanwältin von einem Tötungsvorsatz aus. Sie forderte daher eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Ganz anders argumentierte die Verteidigung. Der Rechtsanwalt verwies auf die vom psychiatrischen Gutachter attestierte verminderte Schuldfähigkeit seines Mandanten, dessen Geständnis und die Tatsache, dass er bisher nicht vorbestraft sei. Die Stichwunden des Beamten im Schulterbereich seien nicht lebensbedrohlich gewesen, eine Planung der Tat sei nicht erkennbar und: „Die Verletzungsfolgen waren nicht so gravierend. Zudem war der Angeklagte durch Alkohol enthemmt.“ Der Jurist sprach daher von einer versuchten gefährlichen Körperverletzung. Sein gefordertes Strafmaß: drei Jahre. Zu einer Unterbringung seines Mandanten in der Psychiatrie wollte er sich nicht äußern.

Die Verhandlung wird am Freitag, 18. Dezember, um 11 Uhr vermutlich mit der Urteilsverkündung fortgesetzt. Simone Weiß