Wirtschaft
Abschwung trifft Menschen mit Handicap

In Werkstätten für Menschen mit Behinderung sind die Auswirkungen der Industrie-Flaute auf andere Bereiche zunehmend zu spüren.

Zu den Aufgaben der Mitarbeitenden in den Betriebsräumen der Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK) zählt unter anderem das Verpacken und Etikettieren von Bauteilen.  Foto: pr

Sie fräsen Metall, montieren Bauteile, schneiden Kabel auf die richtige Länge zu und tun vieles mehr im Auftrag regionaler Industrieunternehmen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen der Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK). Doch statt an der Werkbank zu stehen, nehmen sie seit ein paar Wochen immer häufiger an diversen Bildungsangeboten teil.

„Seit September verzeichnen wir Auftragsrückgänge um 30 Prozent“, sagt Volker Ditzinger, der Geschäftsführer des Sozialfirmenverbundes, der etwa 500 Personen mit Handicap beschäftigt. Die Rückmeldungen anderer Träger im Kreis Esslingen seien ähnlich. Die Flaute im produzierenden Gewerbe, sie macht sich nun auch in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung bemerkbar.

Pessimismus bei den Betrieben

Die Industrie sei Zugpferd der Wirtschaft im Kreis Esslingen: Das gern wiederholte Credo aus den Konjunkturberichten der Industrie- und Handelskammer (IHK) Esslingen-Nürtingen, und das erweist sich in diesen Wochen, in denen das Zugpferd lahmt, als offensichtlich zutreffend. In der jüngsten Konjunkturumfrage der Kammer, die im September stattgefunden hat, haben selbst die bislang eher als zuversichtlich geltenden Dienstleister ihren Optimismus verloren: Industrienahe Bereiche wie Unternehmensberatungen oder IT-Spezialisten erhalten weniger Aufträge.

Demnach bewerten 29 Prozent der 143 befragten Betriebe im Kreis Esslingen die aktuelle Geschäftslage als schlecht und nur noch knapp ein Viertel als gut. 38 Prozent der Firmen gingen von einer Verschlechterung in den kommenden zwölf Monaten aus. Nur noch jedes sechste Unternehmen sei optimistisch gestimmt, teilt die IHK mit. Noch schlechter als im Schnitt ist die Stimmung in der Industrie im Landkreis Esslingen, mehr als 40 Prozent der Betriebe klagen über schlechte Geschäfte, nur noch 15 Prozent beschreiben ihre Lage als gut.

Der Pessimismus speise sich zum einen aus einem negativen Auftragseingang aus dem Ausland, analysiert die Industrie- und Handelskammer in ihrem Bericht. Aber auch die Inlandsnachfrage sei angesichts der Konsum- und Investitionszurückhaltung weiter deutlich zurückgegangen. Die Kapazitätsauslastung liege bei 74 Prozent – laut der Industrie- und Handelskammer der schlechteste Wert seit dem Corona-Lockdown. Und 40 Prozent der Produktionsbetriebe planten ihre Investitionen im Inland zu reduzieren, ein Drittel geht von Beschäftigungsrückgängen aus.

Bildung statt Arbeit

Gerade im Kreis Esslingen wichtige Bereiche wie Maschinenbau und Autozulieferer fahren ihre Aufträge an die Werkstätten Esslingen Kirchheim und andere Betriebe der Lebenshilfe derzeit zurück.

Für die WEK sei das weniger ein finanzielles Problem, zumindest für eine gewisse Zeitspanne. „Hauptproblem ist, dass wir Arbeit benötigen, damit wir Menschen beschäftigen können“, so Ditzinger. Um Leerlaufzeiten zu überbrücken, biete das Unternehmen den Mitarbeitern nun verstärkt Bildung an, doch das sei eigentlich nicht der Hauptauftrag der WEK. „Unser Hauptauftrag ist Inklusion durch Arbeit. Dem würden wir gerne nachkommen.“

Die Umsätze durch Aufträge aus der Industrie hatten 2023 laut WEK immerhin 7,3 Millionen Euro betragen.

WEK suchen neue Partner

Derweil blieben die Aufträge aus anderen Bereichen stabil. Die WEK seien breit aufgestellt, weil sie Menschen Arbeit geben wollen, die ihnen liege, so Volker Ditzinger. Zu den Kunden zählen auch Betriebe wie Sportgerätehersteller, Lebensmittelhersteller, aber auch Kommunen und Privatleute. Seit Jahrzehnten habe man einen festen Kundenstamm, nun müsse man aber in die Akquise gehen, sagt der WEK-Geschäftsführer.

Den WEK sei jede Firma willkommen, die neue Aufträge bringe. „Kurzfristig glaube ich nicht, dass sich die Auftragslage verbessert“, erklärt Volker Ditzinger. Für dieses Jahr sei er pessimistisch, aber nicht grundlegend. „So etwas kann sich manchmal innerhalb weniger Wochen verändern", fügt er hinzu.

 

Die Werkstätten Esslingen-Kirchheim

Firmenverbund: Die Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK) gehören zur Lebenshilfe, einer Selbsthilfevereinigung für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen. Im Kreis Esslingen gehören zu deren Sozialfirmenverbund drei gemeinnützige Gesellschaften – die WEK, die ARBEG Care und die ARBEG Inklusion – mit Standorten in den Kommunen Esslingen, Nellingen, Plochingen, Deizisau, Wernau, Kirchheim, Nürtingen und Schopfloch. Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen finden hier Arbeit in Montage, Verpackung, in der Schreinerei, Metallverarbeitung, Elektroprüfung, aber auch in der Gastronomie oder im Verkauf.

Finanzierung: 70 Prozent des Arbeitsergebnisses werden als Mitarbeiterlohn ausgeschüttet – eine Art Taschengeld von ein paar hundert Euro monatlich pro Person. In schlechteren Zeiten, wie dem Corona-Lockdown, bezahlt die WEK den Lohn laut Ditzinger aus Eigenmitteln weiter. Der Lebensunterhalt der Menschen mit Behinderung wird dagegen über die Eingliederungshilfe des Landkreises abgedeckt. Die restlichen Einnahmen fließen in die Werkstätten – auch Fachpersonal wird damit bezahlt. Der Verwaltungsbetrieb der Unternehmen sowie die Kosten für das pflegerische und pädagogische Personal werden durch Pflegegelder abgedeckt. gg