Man kann durchaus von einer Sensation sprechen, die sich bei der gestrigen Bürgermeisterwahl in Bissingen ereignet hat. Mit Robert Beck und Björn Haigis standen zwei Kandidaten zur Wahl, nachdem die Dritte im Bunde, Hauptamtsleiterin Stephanie-Patricia Bux, ihre Kandidatur zurückgezogen hatte. Keiner der beiden Kandidaten konnte die Wählerschaft allerdings ausreichend von sich überzeugen. Um 19.45 Uhr am Sonntagabend stand fest: Die absolute Mehrheit bekommt mit 811 Stimmen (50,50 Prozent) ein anderer, der gar nicht auf dem Stimmzettel stand: Gemeinderat Siegfried Nägele (UWV), seit 35 Jahren Mitglied des Gremiums und seit 25 Jahren stellvertretender Bürgermeister von Bissingen, ist für die deutliche Mehrheit der Wählerschaft der Wunsch-Nachfolger des frisch gebackenen neuen Landrats Marcel Musolf. Dieser leitete die Geschicke der Seegemeinde 13 Jahre lang fachlich kompetent und mit großer Beliebtheit in der Bürgerschaft. Seine Fußstapfen sind entsprechend groß.
Vergleichbarer Fall in Bayern
Wie sich jetzt herausstellte zu groß für die beiden Verwaltungs-Neulinge Beck und Haigis. Von den 2717 Wahlberechtigten der 3500-Einwohner-Gemeinde hatten 1638 Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz gesetzt. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 60,28 Prozent. Auf den 32-jährigen Robert Beck entfielen 357 Stimmen (22,23 Prozent), auf den 47-jährigen Björn Haigis 361 Stimmen (22,48 Prozent). 77 weitere Stimmen (4,79 Prozent) wurden auf andere Personen vergeben, die nicht auf dem Stimmzettel standen. Einen vergleichbaren Fall gab es Mitte September im bayrischen Röttingen, wo ebenfalls ein Stadtrat und Bürgermeister-Stellvertreter mit der absoluten Mehrheit von 51,9 Prozent zum neuen Bürgermeister gewählt wurde, obwohl auch er nicht kandidiert hatte.
Während das bayrische Pendant seine Wahl direkt annahm, erbat sich Siegfried Nägele sichtlich ergriffen ob des deutlichen Rückhalts aus der Bürgerschaft Bedenkzeit. Sieben Tage bleiben dem 61-Jährigen dafür, der Kreisvorsitzender des Bauernverbands ist und beruflich eine leitende Funktion bei Forst BW hat. Als das von zahlreichen Anwesenden in der Bissinger Gemeindehalle mit großer Spannung erwartete Ergebnis um 19.45 Uhr vom zweiten stellvertretenden Bürgermeister Martin Wahl (UWV) verkündet wurde, gab es großen Applaus. Dem Stimmenkönig Siegfried Nägele – auch bei der letzten Gemeinderatswahl bekam er die meisten Stimmen – fehlten erstmal die Worte. Den beiden unterlegenen Kandidaten Robert Beck und Björn Haigis zollte Nägele seinen Respekt. „Das ist nun eine Situation der Demokratie, die man akzeptieren muss, die mich jetzt aber ein Stück weit unvorbereitet trifft. Ich kann daher heute noch keine Aus- oder Zusage machen. Ich arbeite seit 43 Jahren für meinen Arbeitgeber, da gibt es Einiges zu klären. Und an erster Stelle steht meine Familie, mit der ich mich abstimmen muss“, erbat sich Siegfried Nägele etwas Zeit: „Ich werde die nächsten Tage intensive Gespräche führen.“ Bei seinen Wählerinnen und Wählern bedankte sich Nägele für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und die große Akzeptanz.
Novum im Landkreis Esslingen
Ein solches Wahlszenario habe es im Landkreis Esslingen noch nie gegeben, erklärte Landrat Marcel Musolf, der sein neues Amt Anfang Oktober angetreten hatte. „Man sieht daran, wie lebendig Demokratie im wahrsten Sinne des Wortes sein kann. Der Wählerwille wurde hier zum Ausdruck gebracht“, so Musolf. In aller Ruhe und Besonnenheit solle Siegfried Nägele in den kommenden Tagen zu einer Entscheidung kommen. Beratend steht ihm sein Vorgänger dafür zur Seite.
Dass es vor der Wahl in der Bürgerschaft rumorte, war weder den beiden regulären Kandidaten, noch Siegfried Nägele unbekannt. Mit solch einem deutlichen Ergebnis hatte allerdings keiner gerechnet. Björn Haigis zeigte sich nach der Verkündung des Ergebnisses erleichtert, dass es an diesem Abend entschieden wurde und keine Stichwahl notwendig wird. Dem überraschend deutlichen Wahlsieger gratulierte der Zweitplatzierte und wünschte ihm alles Gute. Ebenso wie Robert Beck: „Das Ergebnis muss man so akzeptieren wie es ist, auch wenn ich es gern gemacht hätte.“ Das endgültige Ergebnis steht nach der Sitzung des Gemeindewahlausschusses am heutigen Montag, 14. Oktober um 18 Uhr fest.