Zwischen Neckar und Alb
Aderlass der Esslinger CDU kommt überraschend

Kommunalpolitik Der Esslinger CDU-Fraktionschef und seine Stellvertreterin wechseln zur FDP im Gemeiderat.

Esslingen. Das neue Jahr beginnt in der Esslinger Kommunalpolitik mit einem Paukenschlag: Noch ehe der Gemeinderat seine Arbeit wieder aufgenommen hat, verabschieden sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau und seine Stellvertreterin Regina Hemminger aus der Riege der christdemokratischen Stadträte. Ihre kommunalpolitische Zukunft sehen beide bei der FDP-Fraktion. Mit künftig sechs Sitzen rücken die Freien Demokraten zur viertstärksten Kraft im Gemeinderat auf, die CDU muss sich bis zur nächsten Kommunalwahl mit fünf Sitzen begnügen. Während Hemminger und Lingnau von einem konsequenten Schritt sprechen, zeigen sich die verbliebenen CDU-Stadträtinnen und -räte ebenso überrascht wie enttäuscht.

Atmosphärische Störungen

Für Lingnau ist klar: „Eine Fraktion ist wie eine Mannschaft, alle müssen füreinander spielen. Wenn es ein Spitzenspieler nicht schafft, das Team zusammenzuhalten, muss er Konsequenzen ziehen.“ Das Mandat zurückzugeben, sei keine Option gewesen, weil man bei den Wählerinnen und Wählern im Wort stehe. Der Gedanke, zu zweit als Gruppe im Gemeinderat zu agieren, sei rasch verworfen worden: „Wir können mehr bewirken, wenn wir mit einer Fraktion antreten.“ Der Wechsel zur FDP sei naheliegend: „Uns verbindet viel, es gibt politisch große Überschneidungen.“ Lingnau betont, dass es keinen konkreten Anlass für den Dissens gegeben habe – eher werden atmosphärische Störungen genannt: „In der Kommunalpolitik muss diskutiert und darf auch mal gestritten werden. Wenn man keine gemeinsame Linie mehr findet, tritt man auf der Stelle.“ Lingnaus Hoffnung: „In einer Woche ist das vergessen – dann muss die Sacharbeit wieder normal laufen.“

Regina Hemminger hält den Ball ebenfalls flach: „Es hat irgendwann nicht mehr gepasst. Wenn man das feststellt, muss man Konsequenzen ziehen. Im Gemeinderat darf es nicht um Parteipolitik gehen. Der Stil hat uns nicht mehr gefallen.“

Der Wechsel von Jörn Lingnau und Regina Hemminger zur FDP hat ihre bisherigen Fraktionskollegen überrascht. Für diese Entwicklung habe es im vergangenen Jahr keine Anzeichen gegeben: „Nach unserem Eindruck haben wir engagiert zusammengearbeitet und uns auch menschlich gut verstanden.“ Dass es in einer Fraktion auch mal unterschiedliche Meinungen auszudiskutieren und auszuhalten gebe, sei „ein ganz normaler demokratischer Vorgang“, meinen betonen der erste stellvertretende CDU-Fraktionschef Herbert Schrade und Tim Hauser, Stadtrat und Vorsitzender der Esslinger CDU. „Ob der Fraktionswechsel fair ist gegenüber Wählern und Partei, deren gemeinsam erstelltes Wahlprogramm im Kommunalwahlkampf mit vertreten wurde, muss jeder Gemeinderat mit sich selbst ausmachen. Für uns ist das Tischtuch jedenfalls nicht zerschnitten, wir pflegen den kollegialen und professionellen Austausch mit allen Kolleginnen und Kollegen.“ Die CDU-Fraktion werde sich neu aufstellen und „mit aller Kraft und vor allem gemeinsam für die Interessen der Bürger einsetzen“. Alexander Maier