Ab und zu braucht Agnes Häberle etwas Süßes. Dann huscht sie nach hinten ins Büro, schnappt sich ein Schokoladenbonbon und geht zurück an die Glastheke. Vor ihr: eine bunte Auswahl an Wurst, Aufstrich, Salaten. Agnes Häberle ist Fleischerin, das Deftige ihr Metier. Sie liebt ihren Beruf und will ihn wieder beliebt machen. Dafür hat sie sich dem Verein „Wir sind anders“ angeschlossen. Und sich oben ohne für einen Kalender ablichten lassen.
Vor zwölf Jahren machte sie ihre Ausbildung zur Fleischerei-Fachverkäuferin in Erkenbrechtsweiler, heute leitet sie die Metzgerei Schneider in Plochingen. Mit nur 23 Jahren übernahm sie die Filiale – das schafft nur, wer seinen Beruf liebt.
Doch die Branche kränkelt, es fehlt an Nachwuchs. Immer mehr Lehrstellen im Handwerk bleiben unbesetzt, 2015 traf das auf fast jeden fünften Ausbildungsplatz in deutschen Fleischereien zu. Agnes Häberle will etwas daran ändern. Unterstützt wird sie von elf Gleichgesinnten – Frauen aus Baden-Württemberg und Bayern, die in Fleisch machen und stolz darauf sind. Für einen Kalender tauschten sie Wursttheke gegen Fotostudio. Sie posieren oben ohne, die Brüste verdeckt.
Die ersten 1 000 Exemplare sind schon verkauft, die zweite Auflage in Produktion. Auch auf Messen und Infotagen bringen die zwölf ihre Botschaft unters Volk. Ihr Ziel: den Nachwuchs für ihre Zunft begeistern.
Kennengelernt haben die zwölf Frauen sich in der Berufsschule, bei Fortbildungen oder auf Messen. Auf einer solchen, der SÜFFA, staunen die Frauen, wie gut sich der Kalender der Metzger-Männer, der Reinert-Metzger-Kalender, verkauft. Ihn gibt es seit zehn Jahren. Sie sind sich einig: „Das können wir auch!“ Wenige Monate später treffen sie sich wieder – beim Fotoshooting. Sven Thorius, der Bekannte einer von Häberles Mitstreiterinnen, ist Metzgermeister und Fotograf. Dank ihm und anderer Sponsoren wird aus der Idee bald ein eingetragener Verein mit einer Homepage sowie natürlich auch mit Facebook-, Instagram- und Youtube-Accounts.
Agnes Häberle hat die Homepage gestaltet; für den Verein sitzt sie oft nach der Arbeit und am Wochenende am Computer. Aus Liebe zu ihrer Zunft: „Der Beruf ist zu Unrecht in Verruf geraten. Dabei bietet er so viel.“ Kreativen Freiraum zum Beispiel. Dafür muss man sich nicht erst Fotos von Häberles preisgekrönten Wurstplatten ansehen mit zu Rosen drapierten Karotten, Rauten aus Pumpernickel oder zu Lilien geformten Chicorée-Blättern. „Bei uns in der Filiale ist Donnerstag Kreativtag. Mal gibt’s Spinatburger, mal Tussi-Burger mit Roter Bete und Feta. Unser Job ist alles andere als langweilig – wenn man sich auf ihn einlässt.“
Wie wichtig Werbung für ihre Zunft ist, kann Häberle auch aus ihrer eigenen Biografie ableiten. Fast wäre sie Autosattlerin geworden – nach einem Praktikum war die Ausbildungsstelle zum Greifen nah.
Als Schülerin verdiente sie sich damals ein paar Euro als Babysitterin dazu, bei Familie Simon, die eine Metzgerei in Erkenbrechtsweiler betreibt. „Eines Tages fragte mich die Mutter, ob eine Ausbildung in der Metzgerei nicht etwas für mich wäre.“ Das ist es. Häberle macht erst eine Ausbildung zur Fleischerei-Fachverkäuferin, dann den Meister in Augsburg und schließlich eine Fortbildung zur Ernährungsberaterin in Nürnberg. Heute gibt sie ihre Erfahrung und ihren Elan an den Nachwuchs weiter – im Betrieb. Aktuell bildet sie mit Pascal ihren vierten Azubi aus. Ehrenamtlich ist sie im Einsatz für „Wir sind anders“.
Vor zwei Wochen stand sie in der Burgrealschule in Plochingen Siebtklässlern Rede und Antwort. Am Ende des Tages war der Mund trocken vom vielen Reden und Agnes Häberle glücklich: Ein Schüler, erzählt sie, sei ganz begeistert gewesen. „Dass da so viel dahintersteckt, hätte ich nie gedacht“, platzte es nach der Runde aus ihm heraus.
Den Kalender für das Jahr 2017 gibt es auch unter der Adresse www.fh-wirsindanders.com
„Mal gibt‘s Spinatburger, mal Tussi-Burger mit Roter Bete und Feta.
Agnes Häberle
Die begeisterte Fleischerin beschreibt die Vielfalt in ihrem Beruf.