In Aichelberg sind am Sonntag 1079 Wahlberechtigte aufgerufen, über ein „interkom-munales und nachhaltiges Gewerbegebiet“ an der Autobahn abzustimmen. Für ein „Ja“ braucht es eine Mehrheit, die mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten beträgt. Das sind 216. Wahlzeit ist von 8 bis 18 Uhr im Bürgerhaus. Der Bürgerentscheid findet statt, weil der Gemeinderat ihn im Februar beschlossen hat. Er wollte die Entscheidung über das Gewerbegebiet nicht allein treffen.
Die Pläne gibt es schon lange. Der Verband Raum Bad Boll, der seine Gewerbeflächen bündeln will, hat die Flächen an der A8 schon lange als zweiten Standort neben den Wängen in Zell gesehen. Weil es in Zell nicht weiter geht, ging Aichelberg ins Rennen: wegen der zu erwartenden Einnahmen, wegen Arbeitsplätzen. Die Gemeinde muss, so sagt es Bürgermeisterin Heike Schwarz, jeden Euro zwei bis dreimal rumdrehen. „Wer mit offenen Augen durch Aichelberg läuft, sieht den Investitionsstau.“
Gut sechs Jahre ist es her, dass der Gemeinderat der Bürgerschaft die Pläne für ein 13,4 Hektar großes Gewerbegebiet vorstellte. Beteiligen würden sich vier Verbandsgemeinden: wiederum Zell und Hattenhofen, wie in den Wängen, sodann Dürnau und Gammelshausen.
Widerstand aus dem Verband
Nicht Bad Boll, und daran zeigt sich der Widerstand, den es gegen das Gewerbegebiet immer gab. Der Bad Boller Gemeinderat wollte mehrheitlich keine Grüne Wiese für Gewerbe geopfert wissen, und diese Haltung gab es auch im Verband selbst, nämlich bei der Arbeitsgruppe zum Eindämmen des Flächenverbrauchs im Nachhaltigkeitsbeirat. Der Verband versteht sich seit 2017 als Nachhaltigkeitsregion, er hat damals auch erklärt, dass das Gewerbegebiet in Aichelberg unter Nachhaltigkeitskriterien entwickelt werden soll.
Dazu wurde vieles vorgelegt, es hat zuletzt auch ein namhafter Vertreter der Logistikbranche aus dem Kreis seine Vorstellungen von nachhaltigem Bauen dargestellt, auch sein Interesse an der Fläche für Logistik bekundet, die der Regionalverband vorschreiben würde. Der Unternehmer kann sich hier viele Arbeitsplätze vorstellen, mit Arbeitslöhnen komme auch Kaufkraft ins Umfeld. Gegner glauben nicht an ein nachhaltiges Gewerbegebiet, halten das für ein Mäntelchen. Für sie ist das Flächenfraß, Naturzerstörung, klimaschädlich.
Dem kleinen Protest im Verband folgte jetzt, wo es an den Bürgerentscheid geht, ein großer. Eine Interessengemeinschaft „Kein-Gewerbepark-Aichelberg“ hat sich gebildet und den drei „Bürger-Informations- und Dialogveranstaltungen“ der Gemeinde eine eigene entgegengesetzt. Unter der Fragestellung „Brauchen wir Gewerbegebiete auf der Grünen Wiese?“ warnten Referenten vor der Endlichkeit von Fläche, verwiesen auf politisch gesetzte Klimaziele, warnten vor Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung, Verlust bedrohter Tierarten. Nur gering sei der Prozentsatz an Gewerbesteuer, der der Gemeinde selbst in einem Interkommunalen Gewerbegebiet bleibe. 18 Prozent plus Grundsteuer, sagt dazu Verbands-Geschäftsführer Michael Deiß. 18 Prozent für die vier anderen Kommunen. Bürgermeisterin Schwarz: „Mir kann keiner erzählen, dass sich ein Gewerbegebiet nicht lohnt.“
Landwirte warnen
Von der Landwirtschaft kommt Gegenwind. Wolfgang Daiber aus Holzhausen, Sprecher der Landwirte, warnte vor dem Verlust an landwirtschaftlicher Fläche in einer Größenordnung, die dem Getreideanbau für 14 Millionen Brötchen entspreche. Wenn die Landwirtschaft sterbe, sterbe die Landschaft. Jetzt warnt auch der Kreisbauernverband: „Der Umgang mit Freifläche kann so nicht weitergehen.“ Jeder neu versiegelte Quadratmeter bedeute den unwiederbringlichen Verlust von Böden zur Lebensmittelproduktion, Landschaften, Lebensräumen und Biotopen. Es gibt auch das Thema Grunderwerb. Grotesk findet es ein Landwirt, dass die Aichelberger über sein Eigentum abstimmten. Es hat eine Befragung von Eigentümern gegeben, zwei erhoben den Vorwurf: Die Bürgermeisterin habe gesagt, bei einer mehrheitlichen Ablehnung würden die Pläne gestoppt. Die Bürgermeisterin erklärt, sie habe eine solche Aussage nie gemacht. Sie setzt auf Flächentausch. Und jetzt gehe es um die Entscheidung, ob Gewerbeflächen entwickelt werden sollen, nicht darum, über fremdes Eigentum zu verfügen.
Razavi: „Eine Riesenchance“
Für das Gewerbegebiet wirbt die CDU-Landtagsabgeordnete und Ministerin für Landesentwicklung, Nicole Razavi. Sie sieht darin „eine Riesenchance, für die Gemeinde und für den Landkreis“. Industrie und Gewerbe bräuchten Entwicklungsflächen, damit Wachstum und Innovation buchstäblich Platz hätten. „Ohne Wachstum kein Wohlstand.“
Zur Dynamik der Diskussion, die sich seit Februar entwickelt hat, gehört, dass sich auch eine Bürgerinitiative Pro Gewerbepark gebildet hat. Neun ehemalige Aichelberger Gemeinderäte und die Kindergartenleiterin schildern Aichelberg als arme Gemeinde, die die letzten Jahre von der Bahnbaustelle profitiert habe, jetzt aber Löcher im Haushalt mit dem Verkauf von Bauplätzen stopfen müsse. Jetzt biete sich die einmalige Chance, die Finanzen dauerhaft zu verbessern.
Aichelberg vor der Entscheidung