Die Kunststofftrinkflasche, das Duschgel, die Sportkleidung – viele Alltagsgegenstände werden auf Erdölbasis hergestellt. Das ist nicht erst ein Problem, seit die Ölpreise stark steigen. Vielmehr sind die weltweiten Vorkommen endlich. Ganz abgesehen davon, dass die Verwertung von Erdöl umwelt- und klimaschädlich ist. Doch es gibt Alternativen. Von einer will der Esslinger Automatisierungsspezialist Festo profitieren: den Algen. Dazu arbeitet das Unternehmen gemeinsam mit Q.ANT, einer Tochter des Ditzinger Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf, sowie Forschungslaboren zusammen. Auf der Industrieschau Hannover Messe hat Festo kürzlich den Bioreaktor Photo-Bionic-Cell vorgestellt .„Aus den Zellen von Algen kann ich alles machen, was ich aus Erdöl machen kann“, sagt Nina Gaißert, Spezialistin für Biotechnologie und Prozessautomation bei Festo. Beispielsweise Ausgangsstoffe für Pharmazeutika, Verpackungen oder Kosmetika. Im Lifetech-Labor in Denkendorf gedeiht eine sattgrüne Variante in einem kleinen, hell beleuchteten Bioreaktor. Beste Bedingungen für eine reiche Ernte – Festo will dazu beitragen, die Algenfarm zu industrialisieren.
Nur wenig Anbaubetriebe
Denn während Algen im asiatischen Raum selbstverständlich zum Speiseplan gehören und in Mittelamerika bereits zu Biokraftstoffen verarbeitet werden, gibt es hierzulande nur wenige Anbaubetriebe – und der größte Teil der Algen wird für Nahrungsmittel verwendet, beispielsweise als Nährstofflieferant für Veganer. Für andere Verwendungszwecke lohnte sich der Anbau in Deutschland bislang kaum, erklärt Gaißert. Unter anderem weil Algen viel Licht und Wärme brauchen. Was in Ländern wie Mexiko in offenen Wasserbecken ohne allzu großen Einsatz funktioniert, brauche im kühleren Deutschland Steuerung und Regelung in einem geschlossenen System. Der Bioreaktor von Festo bietet mittels Automatisierungstechnik eine umfängliche Kontrolle des Algenanbaus. „Erst dann lohnt es sich für unterschiedliche Produkte“, erklärt Gaißert.
Im Denkendorfer Lifetech-Labor haben sie und ihre Kollegen aus Blaualgen der Art Synechocystis den Biokunststoff PHB geerntet, dessen Eigenschaften denen des erdölbasierten Polypropylens ähneln. PHB lässt sich im 3D-Druck einsetzen für Kunststoffbauteile. Außerdem produzieren die Algen blauen Farbstoff, der in Lebensmitteln Verwendung findet. Im Bioreaktor prüfen mehrere Sensoren permanent, ob die Bedingungen für die Algen ideal sind. Falls nicht, werden automatisch Anpassungen bei Temperatur, Lichtintensität und PH-Wert gemacht. Der Status kann auf dem Smartphone abgerufen werden. Was die „Photo-Bionic-Cell“ von anderen Bioreaktoren abhebt, ist laut Gaißert der Quantentechnologie-Sensor von Q.ANT. Dieser gibt Auskunft über das Wachstum der Organismen, indem er die Menge der Biomasse ermittelt und ihre Vitalität prüft. So gelingt es, sofort auf die Bedürfnisse der Algen zu reagieren.
Im Gegensatz zu erdölbasierten Produkten sind Erzeugnisse aus Algen CO2 -neutral – zumindest wenn sie mit erneuerbaren Energien hergestellt werden. Produkte aus Algen setzen die Menge Treibhausgase bei der Verwertung frei, die sie zuvor mittels Fotosynthese aus der Atmosphäre entzogen haben: Sie verwandeln CO2 und Wasser in Energie und setzen im Prozess Sauerstoff frei. Algen sind dabei laut Gaißert unter natürlichen Bedingungen zehn Mal so effizient wie Landpflanzen. „Durch den Bioreaktor gelingt es, die Algen in einem Zustand zu halten, der vergleichbar ist mit dem schönsten Sommertag für einen Baum.“ So steigere sich die Effizienz bei der Fotosynthese aufs Tausendfache. Mittels Gentechnik, hier arbeitet Festo mit dem Max-Planck-Institut Marburg zusammen, könne sie sogar noch weiter gesteigert werden.
Algen stehen nicht in Flächenkonkurrenz mit Lebensmitteln. Sie müssen im Gegensatz zu anderen Mikroorganismen, die Biorohstoffe herstellen können, nicht mit Glukose gefüttert werden und brauchen nicht viel mehr als CO2 und Wasser. Ihre Weiterverarbeitung benötigt laut Gaißert weniger Energie als die von Erdöl. Aus Festo-Sicht sind Algen kleine Klimaretter und stellen eine Perspektive für die Industrie dar. Deswegen war die „Photo-Bionic-Cell“ Teil der Festo-Ausstellung bei der Hannover Messe, auf der die Esslinger seit Jahren mit Innovationen aus ihren Laboren von sich reden machen. „Digitalisierung macht schon jeder. Also was kommt als nächstes? Wir sind sicher, dass die Biologisierung der Industrie kommt“, erklärt Gaißert. Sie und ihr Team glauben, dass der Bioreaktor in der Industrie seinen Platz findet. Durch den Ukrainekrieg und die Verknappung der Erdölzufuhr erfahre das Projekt viel Interesse. „Die Technik, um Algen industriell zu nutzen, ist da. Jetzt fehlt nur noch die Lobby“, sagt die Biologin.
Die Algen als Alleskönner
Biokunststoff ernten Die Abkürzung PHB steht für Polyhydroxybuttersäure. Der Biokunststoff lässt sich aus den Mikroorganismen der Blaualge Synechocystis ernten, indem sie in einen Mangel von Stickstoff und Phosphat gebracht werden. „Die Algen reagieren wie ein Baum im Herbst“, sagt Biologin Nina Gaißert. Sie verlieren ihre grüne Farbe, genau wie die Blätter im Wald. Doch während ein Baum Holz produziert, speichert die Blaualge kleine Körnchen Kunststoff in ihren Zellen – um dann nach der Winterpause im Frühjahr wieder verstärkt zu wachsen.
Weitere Projekte Neben der Verwendung als Treibstoff oder Bestandteil als Nahrungsmittel und Kosmetika finden Algen auch im Tierfutter Verwendung. Sie bringen beispielsweise Kühe dazu, weniger klimaschädliches Methan auszustoßen. In Schleswig-Holstein gleicht dagegen eine Serverfarm ihren starken Energieverbrauch dadurch aus, dass mit ihrer Abwärme eine Algenfarm betrieben wird. Die Algen binden CO2 aus der Luft und finden dann Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln und diverser Kosmetika. So wird die Serverfarm CO2-neutral. gg