Nicht die Maschinen sind das größte Kapital einer Firma. „Es sind die Mitarbeiter“, sagt Professor Alfred Ruther-Mehlis, der an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen den Studiengang Stadtplanung leitet. „Denn im Gegensatz zu den Maschinen kann man die Menschen nicht einfach umziehen.“ Deshalb suchen Firmen, die sich verändern oder Teile ihrer Produktion auslagern wollen, in den meisten Fällen am bisherigen Standort nach neuen Flächen. „Etwa 80 bis 90 Prozent der Firmenansiedelungen finden im Nahbereich statt“, erklärt der promovierte Ingenieur, der auch im Beirat des Esslinger Gewerbegebiets Neue Neckarwiesen sitzt. Abgesehen von den Mitarbeitern sei es meistens auch ökologisch und wirtschaftlich sinnvoller, sich vor Ort nach Flächen umzuschauen.
Es passiert eher selten, dass ein Unternehmen aus Frankfurt oder Berlin in Esslingen an die Rathaustür klopft. Doch egal, woher die Firmen kommen: Die Stadt Esslingen sei ein wichtiges Mittelzentrum in der Region Stuttgart. „Sie steht aber, nicht zuletzt durch ihre topografische Lage, bei den Gewerbeflächen mit dem Rücken zur Wand“, stellt der Stadtplaner fest, der als Mitinhaber des Instituts für Stadt- und Regionalentwicklung unter anderem Kommunen bei der Gewerbeentwicklung berät und sich mit den Auswirkungen von Industrie 4.0 auf die Gewerbegebiete beschäftigt.Da Industrie- und Gewerbegebiete nach der Erfahrung des Professors in der Vergangenheit von der öffentlichen Verwaltung oft stiefmütterlich behandelt worden sind, „hat man zu wenig Vorsorge betrieben.“ Das räche sich. Betriebe haben meistens kurzfristig Bedarf, sich räumlich zu verändern. „Die Innovation ist in den meisten Fällen schneller als das Planungsrecht“, sagt Alfred Ruther-Mehlis.
ÖPNV wird immer wichtiger
Es reicht heute nicht mehr, dass gewerblich genutzte Grundstücke über eine gute technische Infrastruktur verfügen und gut ans Straßennetz angeschlossen sind. „Die Anbindung an den ÖPNV wird vor allem in der Region Stuttgart, in der die Straßen die Kapazitätsgrenze erreicht haben, immer wichtiger.“ So war die gute Erreichbarkeit des Scharnhauser Parks mit Bus und Bahn für die Esslinger Traditionsfirma Elektror ein entscheidendes Argument, Mitte der 2000er-Jahre nach Ostfildern abzuwandern. Und noch etwas ist vielen Firmenchefs und Mitarbeitern wichtig: „Auch in Industrie- und Gewerbegebieten wird Wert auf ein attraktives Umfeld gelegt.“ Gastronomiebetriebe, Fitnessstudios, ein hochwertiges Angebot an Lebensmitteln.
Angesichts des Flächenmangels ist die attraktive Gestaltung von Gewerbegebieten zurzeit kein vordringliches Thema. Zunächst geht es darum, den Betrieben überhaupt Flächen anbieten zu können. „Die Stadt wird das Flächenproblem nicht alleine lösen können“, konstatiert Alfred Ruther-Mehlis. Um Firmen zu halten, rät er, über den Tellerrand hinaus zu schauen. „Wir empfehlen ganz klar interkommunale Gewerbegebiete.“ Unternehmen würden nicht in der Kategorie von Gemeindegrenzen denken. Zudem besäßen viele Firmen bereits über die Region verteilte, eng miteinander vernetzte Betriebsstätten.
Dass Rathauschefs interkommunalen Gewerbegebieten eher skeptisch gegenüberstehen, liegt in der Natur der Sache. Schließlich geht es um die Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Wie die interkommunale Zusammenarbeit zur viel zitierten Win-win-Situation werden kann, zeigen Beispiele aus dem Ruhrgebiet. Dort sei man in einigen Regionen nach dem Prinzip verfahren: „Bevor ein Unternehmen bei uns wegzieht, sage ich es dem Nachbarn. Wenn der Betrieb dort eine Bleibe findet, teilt man sich die nächsten fünf Jahre die Gewerbesteuer.“ Durch geschicktes, gemeinsames Management könnten am Ende Flächen gespart werden.
Weiteres Potenzial steckt aus Sicht des Professors in bestehenden Gewerbegebieten. Bekommen er und sein Team den Auftrag, Betriebsstätten zu entwickeln, fragen sie zuallererst bei den Firmen, ob sie noch Flächen haben, die sie nicht mehr brauchen, und stellen immer wieder fest, dass in bestehenden Gewerbegebieten viel Luft ist.