Saatgut
Alte Getreidesorten: Vom Freilichtmuseum Beuren in die Deutsche Genbank

In den 18 Jahren seit seiner Pensionierung hat Jan Sneyd auf den Versuchsäckern im Freilichtmuseum alte Brotweizen wieder hochgezüchtet. Das keimfähige Saatgut von fünf Genotypen ging jetzt in die Genbank. Sechs weitere sollen folgen.

Professor Dr. Jan Sneyd im Versuchsacker des Freilichtmuseums Beuren.  Foto: Angela Steidle

Im Jahr 2008 entdeckte Jan Sneyd eine Handvoll Körner der alten Getreidesorte „Schwäbischer Dickkopf-Landweizen“ in einer Saatgutbank. Bis in die 50er-Jahre hatte das Getreide das Landschaftsbild in Europa geprägt, bevor es durch Hochzuchtsorten ersetzt wurde. Zusammen mit den Kooperationspartnern Bäckerhaus Veit aus Bempflingen und dem Freilichtmuseum Beuren wurde die alte Sorte im Handzuchtverfahren rekultiviert. 2014 wurde der Ur-Weizen in die Rote Liste aufgenommen, als Arche-Passagier bei Slow Food notiert, wieder in die Bempflinger Backstube gebracht und so gerettet. Moderne Hochzuchtsorten haben teils dreifache Erträge gegenüber alten Landsorten. Rund 70 bis 80 Prozent historischer Getreide- und Gemüsesorten, so schätzen Experten, sind weltweit verschwunden und bleiben es auch.

Für die Zukunft der Ernährung

Elf weitere Weizenarten mit historischen Wurzeln sollen von Beuren aus für „die Zukunft der Ernährung“ an die Deutsche Genbank in Gatersleben übergeben werden. Die ersten fünf Samenproben von den Versuchsäckern im Freilichtmuseum wurden am Freitag eingetütet und auf den Weg gebracht: Richard Rotkorn-Weizen, Ur-Binkel Population weißhaarig, Spontan Baby – Weizen, Rot-Rot Hlava-Weizen und der Klimawandel-Weizen. Die Versuchsäcker im Museum werden in den nächsten Tagen abgeerntet. Unter der Obhut von Jan Sneyd werden sechs weitere Sorten angezüchtet, die 2025 zur sicheren Einlagerung in Gatersleben angemeldet werden. „Im nächsten Jahr arbeiten wir 30 Jahre zusammen“, würdigt Steffi Cornelius, Leiterin des Freilichtmuseums Beuren, „eine erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit“. Sneyd, bis 2008 Professor für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Hochschule Nürtingen-Geislingen, begleitet seit Eröffnung des Freilichtmuseums 1995 die Arbeit zum Erhalt alter Sorten. Über die vergangenen 18 Jahre hat Sneyd auf den Versuchsäckern 20 rare Sorten angebaut, nachgezüchtet und immer wieder analysiert.

Der 84-Jährige berichtet beim vor-Ort-Termin mit großer Nonchalance von weltweiten Road­trips zu Landmärkten, Zuchtgärten und von russischen Genbanken im Atomschutzbunker, gefeit gegen Wasserstoffbomben. „Woher bekommt man die alten Sorten – wo findet man eine gute Frau zum Heiraten?“, vergleicht Sneyd. Es gebe unzählige Möglichkeiten, körnerweise an altes Saatgut heranzukommen. Längst nicht jede Bemühung führe zum Erfolg.

Bei aller Lockerheit: „Dieses Projekt bewegt uns“, relativiert Susanne Erb-Weber, Projekt- und Marketingverantwortliche beim Kooperationspartner Bäckerhaus Veit: „Es steckt ganz viel Expertise im Umgang mit alten Sorten drin. Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit“, so Erb-Weber. „Der Klimawandel schreitet voran“, ergänzt Steffi Cornelius: „Es könnte von Vorteil sein, wenn man alte Sorten in der Gendatenbank hat.“ Sorten, die über Laborbefunde und unendlich scheinende bürokratische Verfahren in Gatersleben heimisch werden. Mit detaillierter Beschreibung, um späteren Nutzern des eingelagerten Genpools die Arbeit zu erleichtern. Bei „stressloser“ Dunkelheit und minus 18 Grad behält das Saatgut etwa 50 Jahre seine Keimfähigkeit. Alle zwei Jahre muss nachgereicht werden. Ein in Nürnberg in einem Grundstein gefundene Beigabe, erinnert sich Sneyd, enthielt nach 150 Jahren noch zwei Prozent keimfähiger Samen. Ein Glücksfall.

Im vergangenen Jahr hat Beuren bereits Samen des mannshohen Waldstaudenroggens an die Genbank abgegeben. Eine echte Rarität mit nur einem weiteren tiefgekühlten Zwilling. Der Ur-Roggen wächst auch im Wald. Sein frisches Grün wurde früher von Schafen und Ziegen abgeweidet. Später gab die Pflanze Korn fürs Brot. Im Bäckerhaus Veit werden inzwischen drei rekultivierte alte Weizensorten wieder verbacken. Die Ernte in diesem Jahr beträgt etwa 50 Tonnen.

Ein „kleines Wunder“

Im nächsten Jahr kündigte Sneyd an, soll ein „kleines Wunder“ der Mendelschen Vererbungslehre erstmals Backofenluft schnuppern: Von Natur aus bestäuben sich Selbstbefruchter in der geschlossenen Blüte selbst. Vor zehn Jahren passierte in seinem Projektgarten spontan eine äußerst seltene freie Bestäubung von außen. Dabei hat sich der dort angebaute „Schwäbische Dickkopfweizen“ mit „Richards Rotkornweizen“gekreuzt. Entstanden ist dabei ein rotkörniger winterfester Brotweizen mit hohem Ertrag und den besonderen Eigenschaften der Eltern: Robustheit, Anbaufähigkeit, Qualität und Ertrag. Ein „Sneyd-Baby“, das besonders wertvoll ist.

 

70 bis 80 Prozent

historischer Getreide- und Gemüsesorten, so schätzen Experten, sind weltweit verschwunden und bleiben es auch.