Lenninger Tal
Am Wochenende herrscht Land unter

Lockdown In Corona-Zeiten wird die Albhochfläche von besonders vielen Erholungssuchenden angesteuert. Das provoziert Konflikte. Von Thomas Schorradt

Die Schwäbische Alb ragt im Kreis Esslingen mehr als 700 Meter über den Meeresspiegel hinaus. Wenn es dort oben heißt, am Wochenende sei Land unter, dann müssen die Wogen der Empörung schon sehr hoch schlagen. Bei Roman Weiß, dem Bürgermeister von Erkenbrechtsweiler, und seinem Lenninger Kollegen Michael Schlecht sind sie jetzt bis an die Türen der Rathäuser geschwappt. Die Reaktionen, um im Jargon der christlichen Seefahrt zu bleiben, klingen verdächtig nach SOS.

Chaotische Verhältnisse auf den Wanderparkplätzen

„An verschiedenen vergangenen Wochenenden kam es zu chaotischen Verhältnissen auf den Wanderparkplätzen“, schreibt Roman Weiß im Mitteilungsblatt des Gemeindeverwaltungsverbands Erkenbrechtsweiler, Owen und Lenningen. Wild parkende Zeitgenossen hätten ihre Autos kreuz und quer auf Feldwegen, Wiesen und Äckern abgestellt. Als Akt der Notwehr hat Weiß die Polizei gebeten, den Gemeindevollzugsdienst zu unterstützten. Im Vorgriff auf die nächsten Corona-Wochenenden weist der Bürgermeister darauf hin, dass das wilde Parken im Landschaftsschutzgebiet mit mindestens 30 Euro geahndet wird.

In Zeiten der Corona-Beschränkungen, in denen die Menschen mangels Alternativen in Massen auf die Schwäbische Alb streben, findet auch Weiß’ Lenninger Kollege Michael Schlecht deutliche Worte. „Wir können unsere Gemeindebediensteten nicht mehr guten Gewissens alleine auf die Straße schicken. Sie werden mit einem großen Maß an Unverständnis, wenn nicht sogar Unverschämtheit konfrontiert“, sagt er.

Mit Grausen denkt Schlecht an den Frühsommer zurück, als vor allem der Ortsteil Gutenberg am Talschluss der Lauter von motorisierten Tagestouristen aus dem Ballungsgebiet überschwemmt worden war. Das hänge natürlich mit der Reduzierung der Freizeitmöglichkeiten in den Städten, aber auch mit der Dynamik der sozialen Medien zusammen, mutmaßt er. „Die Sinterterrassen der Lauter in Gutenberg und im Donntal sind auf Internet-Plattformen massiv beworben worden. Da haben die Leute wohl den Eindruck bekommen, da könne man mit Kind und Kegel zum Baden kommen“, sagt Schlecht.

„Der ganz normale Wahnsinn“

„Die Leute waren unbelehrbar“, erinnert sich auch der Ortsvorsteher von Gutenberg, Harald Röhner. Sie hätten die Hinweistafeln zwar studiert, dann aber massenweise ignoriert. An den anstehenden Wochenenden erwarten er und Michael Schlecht zwar keine Zustände wie an Pfingsten. Wohl aber „den ganz normalen Wahnsinn“, wie der Schultes sagt. Das heißt: überfüllte Wanderparkplätze und kreuz und quer abgestellte Autos.

Davon weiß auch Martin Gienger, der Ranger in Diensten des Naturschutzzentrums Schwäbische Alb, ein Lied zu singen. „Am letzten schönen Wochenende waren die Parkplätze rund um den Hohenneuffen, aber auch auf der Schopflocher Alb und am Breitenstein komplett überfüllt“, sagt er. Auf ihren Streifengängen treffen er und sein Kollege Steffen Wachter meist auf offene Ohren. „Vielen ist gar nicht bewusst, welche Schätze wir hier haben“, sagt er. Wenn die beiden Naturaufpasser in ihrer Dienstkleidung unterwegs sind, dann dringen ihre Ermahnungen beim Einzelnen zwar durch, gegen die schiere Masse aber sind sie hilflos. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass, wenn die Parkplätze voll sind, auch die Kapazitätsgrenze der Natur erreicht ist“, sagt Gienger. Auffällig sei, dass sich die Besuchermassen ausschließlich am Albtrauf ballten. „Albeinwärts, schon ein paar Kilometer weiter am Salzwinkel bei Laichingen, war schon nichts mehr los“, hat Gienger festgestellt.

Der Landkreis Esslingen unterhält zusammen mit dem Verein für Naherholung entlang der Albkante zwischen Neidlingen und Kohlberg 25 Grillstellen mit Tisch- und Sitzgruppen und mehr als 80 Ruhebänke. Mehr als 100 Hektar wertvolle Biotopflächen werden hier durch den Landschaftspfleger des Vereins und die Landkreis-Ranger gepflegt.

Für den wirtschaftsstarken Kreis Esslingen, den am dichtesten besiedelten Landkreis in Baden-Württemberg, ist die Natur nicht zuletzt auch ein Standortfaktor. 44 Prozent seiner Fläche stehen unter Naturschutz. 26 Naturschutzgebiete, 52 Landschaftsschutzgebiete, 670 Naturdenkmale und 3300 besonders geschützte Bio- tope liegen im Kreis. „Jeder der verschiedenen Landschaftsräume vom Neckartal, den Fildern, Schurwald, Schönbuch, Albvorland bis zur Schwäbischen Alb hat seinen besonderen Reiz und lädt ein zur Naherholung“, wirbt der Landkreis in seinem Internet-Auftritt. „Ja, man darf sich in der Landschaft bewegen, auch wenn es nicht jedem gefällt“, sagt auch Michael Schlecht. Inwieweit das an den überfüllten Plätzen und Wegen noch der Erholung dient, lässt er dahingestellt.