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Anekdoten eines Alt-Bürgermeisters: Von Müllabfuhr und Molkezahltag

Geschichte 36 Jahre lang war Ulrich Rieker Bürgermeister von Neidlingen. Für Verwandte und Freunde hat er in einem Heft Erinnerungen und Anekdoten gesammelt. Der Teckbote hat ebenfalls lesen dürfen. Von Peter Dietrich

Welcher Bürgermeister hat seinen Ort in seiner Amtszeit um zwei Drittel wachsen sehen? Ulrich Rieker in Neidlingen. Als er im März 1962 sein neues Amt antrat, zählte der Ort rund 1180 Einwohner. Als er 1998 in den Ruhestand ging, waren es rund 1962. Rund 20, immer sehr gut besuchte Bürgerversammlungen gab es in dieser langen Zeit. Hinzu kamen Gemarkungsrundgänge mit der Bürgerschaft und Informationsabende für Neubürger.

25 Jahre nach Ruhestandsbeginn hat Ulrich Rieker, unterstützt von seiner Frau und ehemaligen CDU-Kreisrätin Rosemarie Rieker, in einem Heft für Verwandte und Freunde Erinnerungen und Anekdoten zusammengetragen. Warum gab es im Sommer 1962 in der örtlichen Wasserleitung einen lauten Knall? Der Vorrat im Hochbehälter Bühl war leer, der Verbrauch war zu hoch, es gab noch keine Wasseruhren. Jeder entnahm, so viel er wollte, etwa zum „Verschwellen“ von Mostfässern. Zur Abhilfe wurden insgesamt sieben örtliche Quellen gefasst und 1976 ein neuer Hochbehälter gebaut. Bald nach Riekers Amtsantritt gab es überall im Ort Wasserzähler. Mehrfach regte er den überörtlichen Anschluss an, doch er zitiert den Gemeinderat mit der Auffassung „mir henn gnug Wasser“. Erst sein Nachfolger Rolf Kammerlander erreichte dieses Ziel.

Nicht alle mochten es, als die Lindach teilweise überdeckt wurde. Doch nur so konnte die schmale Ortsdurchfahrt verbreitert werden. Sie hatte zuvor keine Gehwege und nur eine notdürftige Straßenbeleuchtung. Der Ausbau bis zur unteren Wendung in Richtung Wiesensteig gelang nur durch die Flurbereinigung, bei der auf der Gemarkung 42 Kilometer Feldwege saniert oder völlig neu gebaut wurden.

Mit Willi Kuch und seinem Vater Karl wurde die Müllabfuhr eingeführt, die 20-Liter-Eimer wurden einmal wöchentlich geleert und deren Inhalt auf einen Deponieplatz auf der eigenen Gemarkung gekippt. Der letzte Feldhüter des Orts war Gottlob Hepperle, mit seiner Rente entfiel dieses Amt.

Vor der Einführung der künstlichen Rinderbesamung gab es im Ort die Farrenhaltung, die Vatertiere wurden auf Märkten gekauft. Als ein Farren Metallteile gefressen hatte und der Weilheimer Tierarzt Erwin Kazmaier operieren musste, bestand er nachdrücklich darauf, dass der junge Schultes als Beobachter dabei war. Beim menschlichen Nachwuchs half die örtliche Hebamme Anna Hepperle bei vielen Hausgeburten.

Zahltag und Bürgersprechstunde

Jeden Abend nahm die Molkereigenossenschaft in der Ortsmitte die Milch an. Beim Molkezahltag gab es nicht nur Geld für die Lieferanten, sondern auch das Neueste aus dem Ort und für den Bürgermeister manche Beschwerde zu hören. Er ging aber trotzdem gerne hin. Zum Mittagessen ging er anfangs ins Gasthaus Schwanen. Es stand schräg gegenüber vom Rathaus und wich dann der Raiffeisenbank, sehr zum Ärger der Stammkunden. Vor der Inbetriebnahme der Reußensteinhalle im Jahr 1994 stand für größere Zusammenkünfte im Ort nur der Lammsaal zur Verfügung.

Der Schulneubau war im März 1962 schon eingefädelt, aber die Finanzierung stand noch nicht. Die Gemeinde wollte dort auch ein Lehrschwimmbecken bauen. Der Landrat Ernst Schaude und der Sportfunktionär und CDU-Politiker Gerhard Mayer-Vorfelder wirkten beim Ausreden des teuren Plans mit. Noch lange gab es bei den Kommunalwahlen keine Namensvorschläge, nur leere Zeilen auf den Zetteln. Dass die Sitzungen vom Freitag wegverlegt wurden, lag auch am Fernsehprogramm. Dort wurde auch in Wort und Bild berichtet, als die Neidlinger – Bürger, Vereine, Gemeinderat und Bürgermeister –  mit über 3000 Arbeitsstunden zum Erhalt der Ruine Reußenstein beitrugen, der Lohn war ein Vesper. Die Bürger konnten aber nicht nur schaffen, sondern auch feiern, bei der dreitägigen 1200-Jahr-Feier im Juni 1997 wurde zeitweise die Ortsdurchfahrt gesperrt. Wichtig im Ort war auch der ehemalige Karlesverein, den Vornamen „Karl“ gab es im Ort sehr häufig.

Die örtliche Feuerwehr war anfangs noch mit dem handgezogenem Schlauchwagen unterwegs, das erste Löschfahrzeug LF8 kam 1972. Den UKW-Funk bekam die Neidlinger Wehr 1984 als letzte im Landkreis. Die Eingemeindung nach Weilheim wurde ernsthaft diskutiert, doch die Eigenständigkeit konnte erhalten werden. Nicht erhalten blieb unter anderem die Poststelle.

So viel sich in Neidlingen in 36 Jahren gewandelt hat, bei seiner persönlichen Sekretärin musste sich Ulrich Rieker nie umstellen: Gretel Dosch blieb ihrer Stelle die gesamte Zeit treu.