Eine Drogenplantage mitten im beschaulichen Esslinger Stadtteil Wiflingshausen: Die Razzia vor Ort, der große Polizeieinsatz und der Fall hatten Anfang Juni vergangenen Jahres Aufsehen erregt. Seit Mittwoch müssen sich die mutmaßlich Verantwortlichen vor der fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verantworten. Ein im Landkreis Göppingen wohnhaftes Ehepaar und ein 28-Jähriger wurden wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt. Am ersten Verhandlungstag legten die Angeklagten umfassende Geständnisse ab und ließen sich auf eine Absprache mit festgesetzten Strafmaßen ein.
Die Biografien des beschuldigten Ehepaares scheinen unauffällig zu sein: Der 46-jährige Ehemann hat eine Ausbildung zum CNC-Fräser absolviert, seine 1978 geborene Ehefrau ist gelernte Bürokauffrau, war als Chefsekretärin tätig und brachte zwei Kinder aus einer früheren Beziehung mit in die Partnerschaft. Der Angeklagte sprach von einer harmonischen Partnerschaft, und die Ehefrau betonte, dass sie ihren Mann nach wie vor liebe. Die Trennung von ihm durch die Untersuchungshaft sei schmerzlich.
Miete und Kaution bar bezahlt
Doch die Idylle trügt: Laut der Anklageschrift von Staatsanwalt Thomas Rüstig beschloss das Paar spätestens ab 2020, sich durch den gewerbsmäßigen Anbau von Cannabispflanzen eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Wie im Laufe des Verhandlungstages durch Zeugenbefragungen herauskam, soll das Ehepaar eine Wohnung in Wiflingshausen in Esslingen angemietet haben. Miete, Kaution und mögliche Nebenkosten in Höhe von 44 000 Euro wurden bar im Voraus bezahlt. Das Ehepaar versuchte wohl mit allen Mitteln, den Anschein eines normalen Mietverhältnisses aufrechtzuerhalten. So soll die Ehefrau im Beisein von Nachbarn von den guten Einkaufsmöglichkeiten in der Umgebung gesprochen haben. In Wirklichkeit wurde hinter der gutbürgerlichen Fassade Cannabis in großem Stil in neun Räumen angebaut. Zur Pflege dieser illegal angebauten Pflanzen soll ab Februar 2021 der dritte Angeklagte als Gärtner beschäftigt worden sein. Er sei gelernter Automechaniker und Zimmermann, habe aber mitunter als Viehzüchter gearbeitet, gab der 28-Jährige vor Gericht an. Zudem habe er immer wieder auf Baustellen gearbeitet, um so seine Schulden abbezahlen zu können.Durch das Abhören und Auswerten von Chatverläufen, Handygesprächen und weiterer Daten waren die Ermittler dem Ehepaar auf die Spur gekommen. Dessen Verteidiger Harald Müller versuchte, die Verwertbarkeit dieser Beweise infrage zu stellen. Die Daten seien durch das US-amerikanische FBI gesammelt worden, das willkürlich, ohne einen Anfangsverdacht und ohne Gerichtsbeschluss mehrere Menschen überwacht habe. Das, so sagte der Jurist, ist nach deutschem Strafrecht nicht erlaubt, widerspricht dem Grundgesetz und ist ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte: „Da ist um jeden Preis, ohne Einhaltung von hier geltenden Rechtsgrundsätzen, ermittelt worden. Da könnten wir dem Rechtsstaat ja gleich ade sagen.“
Angeklagte gestehen die Tat
Diese Einwände ließ die fünfte Strafgerichtskammer unter dem Vorsitz von Richter Volker Peterke nicht gelten. Nach Vorgesprächen und einer ausführlichen Beratung am Verhandlungstag wurde über die Strafmaße gesprochen: Im Falle eines Geständnisses käme bei dem Ehemann eine Freiheitsstrafe zwischen fünf Jahren neun Monaten und sechs Jahren drei Monaten in Betracht. Die Ehefrau könne von einer Bewährungsstrafe zwischen einem Jahr und drei Monaten und einem Jahr und neun Monaten ausgehen. Allerdings soll über die Auferlegung von gemeinnützigen Arbeitsstunden nachgedacht werden. Von einer Geldstrafe werde in Anbetracht der finanziellen Umstände abgesehen. Der dritte Angeklagte könne zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten bis drei Jahren und neun Monaten verurteilt werden. Die Angeklagten räumten daraufhin die ihnen zur Last gelegten Taten ein. Zu einer Änderung der Strafmaße, so Richter Peterke, könnte es kommen, wenn etwa durch die Beweisaufnahme neue Sachverhalte ans Licht kämen.
Die Plädoyers und die Urteilsverkündung sollen am Donnerstag, 24. Februar, erfolgen.
Wurden weitere Gebäude besichtigt?
Der Beginn des Prozesses war am Dienstag, 8. Februar, geplant. Doch die Verhandlung musste wegen des positiven Corona-Tests eines der Beteiligten kurzfristig auf 16. Februar verschoben werden. Ursprünglich waren weitere sechs Prozesstage angesetzt. Nach den Geständnissen soll das Urteil am 24. Februar verkündet werden.
Laut der Aussage eines als Zeugen vernommenen Ermittlers soll das angeklagte Ehepaar auf der Suche nach weiteren Einfamilienhäusern für den Anbau illegaler Drogen gewesen sein. Besichtigungstermine und Gespräche mit Vermietern hätten bundesweit stattgefunden. Dabei habe die Ehefrau ihr Aussehen stets verändert.
Aus Chats konnte laut Zeugen festgestellt werden, dass der angeklagte Ehemann einem Hintermann mehrfach Proben der Cannabispflanzen zur Qualitätsprüfung und Vertrauensbildung übergeben habe. Eine Ernte habe etwa 28 Kilogramm erbracht. Es sei aber wohl nur ein Kilo an einen Unbekannten verkauft worden. sw