Es ist der nächste Schritt in eine Zukunft, die den Industriestandort am Neckar durch die Mobilitätswende dramatisch verändern wird. Darin sind sich die Experten einig. Vergangenen September hat der Kreis Esslingen den ersten von zwei E-Transportern für die Straßenmeisterei in Empfang genommen. Jetzt kommen zwei wasserstoffbetriebene Fahrzeuge hinzu. Sie sollen dort zum Einsatz kommen, wo Robustheit und größere Reichweiten gefragt sind. In Zahlen: 500 statt der etwa 200 Kilometer, die die beiden Elektro-Fahrzeuge schaffen. Umgebaut und geliefert werden die 4,6 Tonner mit Brennstoffzelle wie schon die Stromer von der Elektrofahrzeuge Stuttgart Gmbh (EFA-S) in Zell unter Aichelberg. Teile der Technik stammen vom Automobilzulieferer Elring-Klinger in Dettingen/Erms. Im April nächsten Jahres soll der erste Brennstoffzellen-Lkw auf die Straße rollen. Ein Jahr später das zweite Fahrzeug.
Für den Esslinger Landrat Heinz Eininger ist es der nächste Baustein auf dem Weg zur emissionsfreien Straßenmeisterei. Einem seit vier Jahren verfolgten Projekt, mit dem der Kreis im Zukunftswettbewerb inzwischen bundesweit Preise einheimst und das von Bund und Land mit mehr als einer halben Million Euro unterstützt wird. An seiner Seite stehen mit dem Institut für nachhaltige Energietechnik und Mobilität der Hochschule Esslingen und Mittelständlern wie EFA-S erfahrene Partner aus der Region.
Für Eininger ist das nicht nur Beweis für die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts, sondern - wie er sagt - „Blaupause“ für einen erfolgreichen Strukturwandel in der heimischen Fahrzeugindustrie. Es geht nicht nur um Kostenersparnis und Klimaschutz, schließlich schreibt die EU ab 2025 strenge Quoten für emissionsfreie Nutzfahrzeuge im öffentlichen Verkehr vor. Es geht auch darum, einen Markt anzukurbeln, den es so noch gar nicht gibt. Serienreife Lkw mit hohem Gewicht und ebensolcher Leistung sind im Moment noch Zukunftsmusik. Deshalb baut EFA-S in Zell bereits genutzte Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren um (siehe Info).
Dass es sich bei den Pilotfahrzeugen beider Antriebstechniken um fast baugleiche Typen handelt, hat zwei Gründe. Für schwere Lkw und Unimogs, wie sie im Winterdienst als Schneepflug an steilen Albsteigen zum Einsatz kommen, reicht die Technik noch nicht aus. Wieviel Leistung hier gefragt ist, zeigt der mächtige Durst dieser Brummis: „50 Liter Diesel pro 100 Kilometer sind da ganz normal,“ sagt Thorsten König, der Leiter des Straßenbauamts. Gleichzeitig sieht sich der Kreis in der Pionierrolle und verspricht sich wertvolle Erkenntnisse im Systemkampf der Antriebe - gerade bei Klein-Lkw. Schließlich entfallen auf diese Sparte rund zwei Drittel aller Neuzulassungen im Nutzfahrzeugbereich, wie Professor Ralf Wörner von der Hochschule Esslingen betont. „Im Pkw-Bereich sind die Weichen längst gestellt,“ sagt Wörner. „Genau diese Fahrzeugklasse steht am Scheideweg.“
Wasserstoff durch Solarstrom
Am von Wörner geleiteten Institut in Esslingen beschäftigen sich 15 Professoren und 20 wissenschaftliche Mitarbeiter mit Fragen zur Zukunft der Mobilität. Der Erfolg der Brennstoffzelle hängt auch für Wörner von zwei wesentlichen Faktoren ab: Der Gewinnung grünen Wasserstoffs - denn nur der verspricht eine saubere Klimabilanz - und einem gut ausgebauten Netz mit Zapfsäulen. Davon gibt es im Kreis Esslingen zur Stunde exakt zwei: In Wendlingen und am Flughafen. Grüner Wasserstoff soll als Modellprojekt ab Ende dieses Jahres in einem klimaneutralen Stadtquartier in der Esslinger Weststadt gewonnen werden. Dort entsteht auf einer Fläche von 14 Fußballfeldern neben 500 Wohnungen auch ein Neubau der Hochschule Esslingen. Eine unterirdische Energiezentrale, so der Plan, verwandelt später Solarstrom von den Dächern in klimaneutralen Wasserstoff, mit dem die Bewohner ihre Fahrzeuge betanken können. Für Landrat Heinz Eininger nicht das einzige Beispiel, das zeigen soll: „Wir verharren nicht in Konzepten, sondern handeln.“