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Artenkenner vom Aussterben bedroht

Natur Wer Tiere und Pflanzen schützen will, braucht Artenwissen. Doch daran hapert es selbst in Fachkreisen. Das Naturschutzzentrum Schopflocher Alb will mit seinem Bildungsangebot dagegenhalten. Von Daniela Haußmann

Die Zahl derer, die tatsächlich noch wissen, was in der Natur kreucht und fleucht, nimmt ständig ab. Und das nicht nur in der Bevölkerung. Laut baden-württembergischem Wissenschaftsministerium „gibt es auch immer weniger Fachleute, die über tiefe Artenkenntnisse verfügen und in der Lage sind, Tiere und Pflanzen sicher zu bestimmen.“ Eine Entwicklung, die nicht nur den ehrenamtlichen Bereich betrifft, sondern „auch Verwaltungen, Verbände und verschiedene andere Berufsfelder“. Ein Grund dafür ist laut Ministerium, dass die zoologische und botanische Ausbildung und Forschung an den Universitäten in den letzten Jahrzehnten reduziert wurde.

Für Wolf Rühle, Umweltbeauftragter der Stadt Kirchheim, sind die Ursachen des Wissenseinbruchs vielschichtig. Immer wieder erlebt der städtische Umweltbeauftragte im Rahmen von Bildungsangeboten, dass Eltern Angst haben, ihre Kinder in Wald, Feld und Wiese zu lassen, weil es dort etwa Zecken oder Fuchsbandwürmer gibt. Damit habe bereits die Elterngeneration wichtige Verbindungen zur Natur verloren und könne sie für den Nachwuchs nicht mehr erhalten. Früher kamen auch die Menschen in der Teckregion von Kindesbeinen an beim Landleben, der Arbeit in der Landwirtschaft oder auf der Streuobstwiese mit wildlebenden und domestizierten Pflanzen und Tieren ganz automatisch in Kontakt. Die zoologischen und botanischen Kenntnisse, die sich so einstellten, wurden laut Dieter Ilg vom Nabu Kirchheim im Schulunterricht nur noch vertieft. Doch dieser direkte Bezug zur Natur sei verlorengegangen.

 

Heute erkennen viele nur noch die Ordnungen, wie Käfer, Fliegen oder Schmetterlinge.
Dieter Ilg
Nabu Kirchheim
 

Heute erkennen viele bestenfalls noch die Insektenordnungen, etwa Schmetterlinge, Käfer oder Fliegen, wie Ilg feststellt. Verschiedene Laub- und Nadelbaumarten zu unterscheiden oder Pflanzen zu erkennen, sei in der Regel nicht leistbar. Für den Naturschützer eine alarmierende Entwicklung. Denn wie soll man in einer Bevölkerung für den Schutz von Arten werben, wenn die praktisch gar nicht bekannt sind? Eine Antwort findet sich im Naturschutzzentrum Schopflocher Alb (NAZ). Dort wird schon immer Artenwissen an ein breites Publikum, darunter Kindergartenkinder oder Schulklassen, weitergegeben. Schon 2014 lernten zum Beispiel Erzieherinnen dort bei einer Weiterbildung, wie sich bereits im Kindergarten zoologische und botanische Kenntnisse vermitteln lassen. Ein Angebot, das NAZ-Leiter Marco Drehmann im Zuge der 2019 von der Landesregierung ins Leben gerufenen Initiative „Integrative Taxonomie“ deutlich ausbauen möchte.

Ziel der Initiative ist es, die Expertise zur biologischen Vielfalt in Wissenschaft, Forschung, Hochschullehre und dem Bildungsbereich zu stärken, auszubauen und dauerhaft in der Gesellschaft zu verankern. Tragende Säule dieses Vorhabens ist dabei auch die Fort- und Weiterbildung, etwa von Personen in Behörden, Landschaftserhaltungsverbänden, Planungsbüros, im ehrenamtlichen Naturschutz und von Lehrkräften. Das soll sich laut Marco Drehmann ab 2023 auch in den NAZ-Bildungsangeboten widerspiegeln. Wichtig ist für den Biologen aber auch, durch die Darstellung ökologischer Zusammenhänge nachhaltiges Handeln zu ermöglichen.

Beispielsweise ist aus seiner Sicht in der Bevölkerung das Wissen zurückgegangen, dass sich viele Arten und ihre Lebensräume in der Kulturlandschaft über Jahrhunderte durch unterschiedliche Landnutzungsformen und Bewirtschaftungsmethoden überhaupt erst ansiedeln konnten. Die Streuobstwiesen rings um die Teck sind dafür ein Beispiel. Ihre Bewirtschaftung trägt zum Erhalt des Lebensraums und damit zum Artenschutz bei. Solche Aspekte können bei Erwachsenen, aber auch bei jungen Menschen Begeisterung wecken und zum Handeln anregen, meint Drehmann. Um Arten zu schützen, braucht es Wissen über deren Lebensweise und die Ökosysteme, in denen sie vorkommen, denn nur dort finden sie ganz bestimmte Bedingungen vor, die für ihr Überleben wichtig sind und die bekannt sein müssen, um sie fördern zu können. Doch dazu sind für Volker Osdoba vom Nabu Kreisverband Esslingen Impulse wie Naturerlebnisse nötig, die Erfahrungen, Wissen, Verständnis, Motivation und Fertigkeiten zum verantwortungsvollen Handeln vermitteln. Alle die mehr über Arten und ihre Lebensräume erfahren wollen, lädt Osdoba ein, sich bei den regelmäßigen Biotoppflege-Aktionen des Nabu Kirchheim anzumelden.

 

Eltern und Großeltern können ihr Wissen über Pflanzen und Tiere an die Kinder weitergeben. Doch viel zu oft gehen die wichtigen Kenntnisse verloren.  Foto: Carsten Riedl

Drei Fragen an den Umweltbeauftragten Wolf Rühle

Reicht es für den Artenschutz aus, Arten nur zu kennen?

Um die Zukunft wertvollen Naturkapitals zu sichern, reicht es nicht, Arten nur zu kennen. Das ist totes Wissen, wenn es nicht ergänzt wird durch Kenntnisse über Lebensraum, Verhalten, Nahrung, Lebensweise, Verbreitung und andere Details zu den jeweiligen Lebewesen. Dieses Artenwissen ist Voraussetzung für ganzheitliches Handeln im Sinne des Natur- und Artenschutzes.

Ist dazu auch eine Verbindung von Kulturlandschaft und Lebensstil nötig?

Die Bildungskette in Sachen Natur, Landschaft, Landwirtschaft, Verbraucherverhalten, Ernährung und Gesundheit muss wieder geschlossen werden. Denn persönliche Konsummuster und Lebensstil beeinflussen die Landnutzung- und –bewirtschaftung in der Kulturlandschaft und damit die Biotopqualität, von der die Existenz vieler Arten abhängt. Um bei Umweltvorsorge und Nachhaltigkeit die dringend benötigte Handlungskompetenz zu erreichen, braucht es einen breiteren mit Artenwissen vernetzten Bildungsansatz.

Wird solches Wissen in der Arbeitswelt wichtiger?

Bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen und Produkten wird Ökologie immer wichtiger. Viele Akademiker, wie Ingenieure, Betriebs- und Volkswirte, besetzen im Berufsleben Positionen in denen entsprechendes Know-how bei Entscheidungen und der Nachhaltigkeitsentwicklung eine immer größere Rolle spielt. So können Architekten Lebensstätten für Fledermäuse und Vögel in Gebäude einplanen, wenn sie für solche Dinge sensibilisiert sind. dh