Das dunkle Tuch liegt schon bereit. Dieter Ilg zieht es über die Vorderseite der Niströhre, um die Öffnung abzudecken – ein Trick, damit keiner der Jungkäuze versehentlich frühzeitig das Weite sucht. Dann schraubt er die Rückseite der Brutröhre ab. Die Käuze sind etwa drei bis vier Wochen alt: gut befiedert, neugierig, aber noch nicht flugfähig.

Neuer "Personalausweis"
Einer nach dem anderen wird vorsichtig aus der Röhre entnommen und nach unten gereicht. Dort steht Birgit Kern bereit. Sie nimmt die Tiere ruhig entgegen, verstaut sie behutsam in weiche Stoffbeutel. Kaum ein Laut ist zu hören. Dann beginnt das eigentliche Feldbüro unterm Apfelbaum: Ein Kauz nach dem anderen wird gewogen, vermessen und beringt. Die kleinen Metallringe stammen von der Vogelwarte Radolfzell, sind nummeriert und werden dauerhaft am Bein befestigt.
„Gleich hast du’s geschafft“, sagt Birgit Kern, während sie den nächsten Jungvogel fest, aber behutsam hält. Dieter Ilg setzt den Ring mit der Zange an, kontrolliert den Sitz – dann wird die Nummer notiert, das Gewicht eingetragen. In Ohmden bekommen an diesem Vormittag vier Jungtiere ihren offiziellen Ausweis.

Und auch bei den Altvögeln hilft die Beringung: Bei einem der Elternteile konnte die Ringnummer mit dem Fernglas abgelesen werden, er wurde 2019 in Hattenhofen beringt. „Mit sechs Jahren ist das schon ein stattliches Alter“, sagt Ilg. Viele Steinkäuze erleben kaum mehr als drei, vier Jahre – und ob sie dann einem Marder, einem Auto oder einfach dem Lauf der Dinge zum Opfer fallen, bleibt meist unbemerkt.
Röhre mit Servicepaket
Sind alle Käuze erfasst, geht es zurück in die Röhre. Doch bevor die provisorische Kinderstube wieder geschlossen wird, wird aufgeräumt: Mit einem kleinen Spatel entfernt Ilg alte Nahrungsreste, Gewölle, Kotreste – und in diesem Fall auch einen toten Maulwurf. „Die kriegen gleich eine Grundreinigung dazu“, sagt er und legt zum Abschied noch eine gefrorene Maus hinein – die Beute seiner Katze, für solche Einsätze tiefgekühlt konserviert.
Die Daten der Beringung fließen in eine internationale Vogelzugdatenbank, koordiniert von der Vogelwarte Radolfzell, die zum Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie gehört. Die Beringung gibt Aufschluss über Lebensdauer, Zugverhalten und Bestandssituation, wichtige Infos für den Arten- und Lebensraumschutz.

Damit alles reibungslos und stressarm abläuft, sind Ausbildung und Beringungsschein Pflicht. Ilg hat Schulungen besucht und viele Einsätze begleitet, bevor er selbstständig tätig wurde. Im vergangenen Jahr beringte die NABU-Artenschutzgruppe Köngen/Wendlingen 63 Jungvögel, 2023 waren es sogar 99. 2024 betreut die Gruppe insgesamt 215 Röhren – rund 50 davon in Ohmden, Jesingen und Holzmaden. Weitere zwölf Kästen liegen in der Obhut von Heinz Schöttner, der sich in Dettingen engagiert und am Tag der Beringung ebenfalls mit anpackt.
Die Arbeit beginnt allerdings nicht erst, wenn die Käuze da sind: „Im Frühjahr schauen wir, welche Röhren belegt sind – im Herbst wird ausgeräumt, repariert, neu befüllt“, sagt Schöttner.

Kleiner Kauz, große Verantwortung
Der Steinkauz ist die kleinste Eule Baden-Württembergs – rund 190 Gramm leicht, aber mit einem durchdringenden Blick, der an eine Mischung aus Verwunderung und Allwissen erinnert. Seinen wissenschaftlichen Namen, Athene noctua, verdankt er Athene, der griechischen Göttin der Weisheit. In Griechenland gilt er bis heute als Glückssymbol und ziert sogar die 1-Euro-Münze. Im europäischen Mittelalter dagegen galt sein Ruf als düsteres Omen, vor allem, weil er wie ein hastiges „komm mit“ klingt und er sich gern in alten Ruinen aufhielt.

Heute ist es nicht der Aberglaube, der ihm zu schaffen macht, sondern der Verlust seines Lebensraums. Der Rückgang von Streuobstwiesen, alten Bäumen und Hecken nimmt ihm die natürlichen Brutplätze. Deshalb bringt die NABU-Artenschutzgruppe spezielle Niströhren an, möglichst hoch und ruhig gelegen, mit mardersicherem, S-förmigem Eingang und gemütlichem Innenleben aus Holzschredder.
Mit etwas Glück bleiben die Jungkäuze in der Nähe. „Steinkäuze sind relativ ortstreu“, sagt Ilg. Und wenn sie eines Tages wieder auftauchen, weiß man dank Nummer am Bein: Sie stammen aus dem Feldbüro unter einem Apfelbaum in Ohmden.

