Ein Labyrinth aus riesigen Kammern, endlosen Schächten und verzweigten Gängen durchzieht die Schwäbische Alb tief in ihrem Innern. Über Jahrtausende hat kohlensäurehaltiges Sickerwasser den Kalkstein von Mitteleuropas größtem Karstgebiet aufgelöst und ausgewaschen. So entstanden durch die gestaltende Kraft der Natur mehrere Tausend Höhlen, von denen einige auf der Schopflocher Alb zu finden sind, wo sie vielen auch hochspezialisierten Arten ein Refugium bieten, wie ein Streifzug durch die Gutenberger Höhle zeigt. Vom Eingang bis tief hinein ins dunkle Innere hat eine Abfolge verschiedenster Umweltbedingungen Zonen und Übergangsbereiche mit angepassten Arten und Lebensgemeinschaften hervorgebracht.
Rings um den Eingang, wo äußere Witterungseinflüsse zusammen mit tages- und jahreszeitlichen Temperaturschwankungen den Lebensraum prägen, findet man Tiere aus der direkten Umgebung, erzählt Reiner Enkelmann, Landschaftsführer des Naturschutzzentrums Schopflocher Alb. Gäste, die eigentlich außerhalb von Höhlen leben, in Fachkreisen Trogloxene genannt, sind etwa Wanderfalken und Zaunkönige, die hier geschützt vor Feinden brüten. Im noch einfallenden Tageslicht gedeihen Moose und Farne, die imstande sind, noch bei bis zu 1/300 des Tageslichts zu wachsen. Dahinter liegt die Dämmerungszone, wo wenig Licht und geringe Temperaturschwankungen kennzeichnend für die Übergangsregion einer jeden Höhle sind, so Tewje Mehner. Laut dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten (ARGE) ziehen sich viele Insekten, Asseln und Tausendfüßer hierher zurück, um frostfrei zu überwintern. Sie sind Troglophile, höhlenliebende Tiere, die sowohl unter- als auch oberirdisch leben.
Zu ihnen zählen auch Fledermäuse, Feuersalamander, Siebenschläfer und Schmetterlinge wie Kleiner Fuchs, Zackeneule oder das Tagpfauenauge, das Reiner Enkelmann in der Gutenberger Höhle erspäht. Auch sie überdauern unter Tage die kalte Jahreszeit, wie der Geograf bemerkt. Um Hitze und Austrocknung zu entgehen, wird das unterirdische Biotop jetzt im Sommer von einigen Köcherfliegen- und Mückenarten besiedelt, die er mit seiner Kamera einfängt. In der ewigen Finsternis der Tiefenregion existieren keine grünen Pflanzen, die Nahrung liefern. Denn sie brauchen Licht, um durch Fotosynthese aus Wasser und Kohlenstoffdioxid Energie für ihr Wachstum zu gewinnen. Hier, wo in unseren Breiten die Temperatur ganzjährig bei acht bis neun Grad und die Luftfeuchtigkeit bei 95 bis 98 Prozent liegt, ist Nahrung knapp.
Abhängig von der Außenwelt
Verendete Tiere, Kadaverreste, die Beutegreifer wie der Dachs zurücklassen, Insekten oder Pflanzenteile, die das Sickerwasser in die Höhle spült, bieten hin und wieder eine Mahlzeit. „Das unterirdische Ökosystem ist also abhängig von der Außenwelt“, erklärt Tewje Mehner. „Werden keine Nährstoffe mehr zugeführt, geht das Biotop verloren.“ Echte Höhlenbewohner, sogenannte Troglobionte, kompensieren den Nahrungsmangel mit herabgesetztem Stoffwechsel und langsamen Bewegungen, die den Energieverbrauch auf ein Minimum reduzieren, so der studierte Geologe. Je kleiner ein Organismus, desto geringer falle sein Nahrungsbedarf aus. Deshalb seien Troglobionte oft nur wenige Millimeter groß.
So etwa pigmentlose Spring- und Doppelschwänze, Ur-Insekten, die es auch in der Gutenberger Höhle gibt. Wie andere Arten, die an das Leben unter Tage angepasst sind, haben die Winzlinge ohne Sonnenlicht und UV-Strahlung keine Farbpigmente ausgebildet. Da Augen in absoluter Dunkelheit nutzlos sind, sind viele Troglobionte blind. „Dafür haben sie meist einen hervorragenden Tast- und Geruchssinn“, berichtet der ARGE-Vorsitzende. „Ihre Extremitäten sind oft verlängert und besitzen Tasthaare.“ Außerdem sei ihre Haut dünner als die ihrer oberirdischen Verwandten, weil sie die hohe Luftfeuchtigkeit vor Austrocknung schütze. Höhlen sind fragile Biotope. In Karstgebieten wie der Schopflocher Alb können mit Niederschlägen Schadstoffe aus Landwirtschaft, Siedlungen und Straßen eingetragen werden und das ökologische Gleichgewicht stören. Fatal ist das für Arten, die nur unter Tage existieren können. Tewje Mehner wünscht sich deshalb einen besseren Schutz von Höhlenbiotopen.
Spannende Entstehungsgeschichte
Wie viele Höhlen gibt es auf der Schwäbischen Alb?
Ins Höhlenkataster sind rund 3000 Höhlen über fünf Meter Länge eingetragen. Die längsten sind bis zu fünf Kilometer lang. Allein um Gutenberg gibt es mindestens 100 von ihnen. Einige sind durch den Abbau in Steinbrüchen zerstört oder zugeschüttet worden.
Wie sind die Höhlen entstanden?
Die meisten Albhöhlen entstanden, weil das Niederschlagswasser in der Luft und im Humus des Bodens CO2 aufnimmt. Jetzt ist das kohlensäurehaltige Sickerwasser in der Lage, auf seinem Weg entlang von Rissen und Spalten den Weißjurakalk aufzulösen. Unter Mitwirkung von Erosion können sich allmählich ganze Höhlensysteme entwickeln.
Gibt es Verhaltensregeln bei Besichtigungen?
Bei Höhlen muss man grundsätzlich in geologischen Zeiträumen denken. Es sind Ökosysteme, die viele Jahrtausende brauchen, um sich von äußeren Eingriffen zu regenerieren. Deswegen sollte man in einer Höhle auf gar keinen Fall etwas zerstören und auch nichts mitnehmen. Leider passiert das aber immer wieder mit Tropfsteinen. Trifft man auf Tiere, muss man sie leben lassen. Abfälle sollten mitgenommen und keine wilden Feuerstellen angelegt werden. dh