Die SPD-Genossen und die Grünen streiten und zerfleischen sich, aber die CDU ist ein braver Abnickverein? Dieses alte Klischee scheint Geschichte zu sein. Noch nie habe er bei einem CDU-Kreisparteitag derart heftige Diskussionen erlebt, meinte ein Teilnehmer nach der Veranstaltung im Schlachthofbräu in Nürtingen. Der Andrang war so groß, dass weitere Stühle herbeigeschafft wurden. In der Diskussion über die Einschätzung einer möglichen Großen Koalition (GroKo) traten sehr unterschiedliche Einschätzungen zutage.
„Mit den Inhalten kann ich einigermaßen gut leben“, fasste der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich seine Einschätzung des Koalitionsvertrages zusammen. Dies sage er gleichzeitig als Landesvorsitzender von Haus und Grund in Württemberg. Für Digitalisierung und Schulen werde viel Geld ausgegeben, aber das sei ein Muss. Auch die Ausgaben für Soziales und die Pflege seien gut. Ihre Nachforderungen bei der Härtefallregelung bei Geflüchteten, bei befristeten Arbeitsverhältnissen und der Bürgerversicherung habe die SPD „nicht sonderlich gut durchsetzen können“.
Mit einem „weinenden Auge“ und „mit geballter Faust in der Tasche“ betrachte er hingegen die Ressortverteilung. „Man muss das akzeptieren, so schwer es einem fällt. Was wäre die Alternative gewesen? Eine Minderheitenregierung?“ Hennrichs Bemerkung „Wenigstens das Kanzleramt haben wir behalten“ wurde mit Gelächter quittiert.
Wie die SPD zur GroKo abstimmen werde, könne er noch nicht abschätzen: „Sie wird am Ende ein Mobilisierungsproblem haben. Die Gegner stimmen auf jeden Fall ab.“ Bei allen denkbaren Alternativen mahnte Hennrich, die Differenzen zwischen der CDU und den Grünen nicht zu vergessen. Bei Fragen wie dem Familiennachzug, Sicherheit und Recht sei die SPD der einfachere Verhandlungspartner gewesen. Nun hofft Hennrich darauf, schnell stabile Verhältnisse zu bekommen. Die Frage, wie es mit der CDU weitergehe, stelle sich erst anschließend: „Wir wollen nicht am Stuhl von Leuten sägen, die noch verhandeln.“ Michael Hennrich sieht Angela Merkel für weitere vier Jahre als Kanzlerin. 2019 könne aber schon ein neuer Parteivorsitzender gewählt werden. „Wir brauchen zudem ein neues Grundsatzprogramm.“ Und es müsse wieder parteiintern diskutiert werden: „Ich hätte Lust auf eine neue Debattenkultur.“
Mit dem Koalitionsvertrag gut leben? Das kann Holger Kappel vom Stadtverband Esslingen nicht. Er sieht darin „70 Prozent SDP-Forderungen durchgesetzt“. Mit der Ministerauswahl ist er erst recht nicht einig: „Mit ihren bundesweit acht Prozent hätte die CSU höchstens ein Ministerium bekommen dürfen.“ Auch die CDU-Minister kritisierte er, von der Leyen etwa habe die Bundeswehr heruntergewirtschaftet. Der Altbacher Gemeinderat Helmut Maschler vermisst in der CDU Führungskraft und Führungswille: „Wo war denn Angela Merkel?“ Der Eindruck in der Bevölkerung sei „70, 80 Prozent SPD“. „Wir haben grundlos unheimlich nachgegeben, um die SPD zu retten. Der Kreisvorsitzende Thaddäus Kunzmann beschwichtigte: „Wir glauben, was uns irgendein SPD-Generalsekretär erzählt.“ Kunzmann war am Aschermittwoch bei der CSU in Passau. „Die haben dort den Koalitionsvertrag als 100 Prozent CSU verkauft, und 5 000 Leute glauben es.“ Er messe den Koalitionsvertrag am Familiennachzug und den Registrierungszentren. Außerdem: „Man muss dem Koalitionspartner auch etwas gönnen, so wie es Helmut Kohl getan hat.“
Lieber Scholz als Trittin
Thomas Schulte aus Wolfschlugen hat mit großem Aufwand die Begriffe des Koalitionsvertrages analysiert und ein Ranking erstellt. Er sieht Innovation, Wirtschaft und Familie vorne, das soziale Miteinander komme erst an fünfter Stelle. „Dem kann man zustimmen.“ Der CDU-Vorsitzende Peter Schuster könnte sich auch mit einer schwarz-gelben Minderheitsregierung mit Jens Spahn als Kanzler und Christian Lindner als Finanzminister anfreunden.
„So schlecht sieht es nicht aus“, befand Hans Köhler aus Wendlingen nach intensivem Blick in den Koalitionsvertrag. „Nur den Posten des Finanzministers hätte ich nicht aufgegeben.“ Köhler mahnte aber auch: „Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auseinander, das sage ich auch als Schwarzer.“ Zur verbreiteten Trauer um den Posten des Finanzministers nahm Hennrich Stellung: Bei der Jamaika-Debatte habe die Gefahr bestanden, dass Jürgen Trittin Finanzminister werde. „Da verteidige ich lieber Olaf Scholz, dem ich ein gewisses Vertrauen entgegenbringe.“