Zwischen Neckar und Alb
Auf den Trichter gekommen

Ausflugstipp Rolf Geigle aus Hengen sammelt seit über drei Jahrzehnten mit großer Leidenschaft Grammophone und zeigt sie gern Besuchern. Von Gabriele Böhm

Mein Haus, mein Auto, mein Boot? Um 1930/1940 gab es noch ein weiteres Statussymbol, das man vorzeigte, wann immer man konnte: Wer damals etwas auf sich hielt, bat seine Gäste in den Salon, wo das Grammophon stand. Oder man öffnete weit die Fenster zur Straße, damit auch ja jeder mitbekam, dass man ein Grammophon besaß. Staunend hörte man Musik, für die man keine Kapelle mehr benötigte. Die Melodien kamen allein von einer schwarzen Scheibe und einem riesigen Trichter - je größer und je bunter, desto besser. Die Grammophonsammlung von Rolf Geigle in Hengen repräsentiert nicht nur ein Stück Musikgeschichte, sondern entführt auch in eine Zeit, als es noch kein Radio, keine CDs und keinen MP3-Player gab.

„Grammophone sind schon lange meine Leidenschaft“, bekennt Rolf Geigle, der vor seiner Verrentung als Radio- und Fernsehtechniker arbeitete. Genau vor 30 Jahren hatte er begonnen, seine Exponate zusammenzutragen. 400 sind es mittlerweile, von denen er 300 in seiner Ausstellung zeigt. Nach den Anfängen der Dachwohnung im alten Schulhaus in Hengen war die Sammlung für sechs Jahre im Stadtmuseum Bad Urach zu Gast und ist jetzt nach Hengen zurückgekehrt. Auf vier Etagen präsentiert Geigle seine Schätze, zu denen auch heute noch immer welche hinzukommen. „Im Grunde ist das Haus schon wieder zu klein geworden“, meint er. Rund 1000 Besucher kommen jedes Jahr in die Jakob-Reiser-Straße 2.

Immer neue Stücke werden der Sammlung einverleibt. Oft unerwartet. „Vor Kurzem rief mich jemand Samstagnacht aus England an und berichtete, er habe ein sehr seltenes Spinettgrammophon entdeckt. Er wollte wissen, ob er es für mich kaufen solle.“ Da gab es kein langes Überlegen. „So etwas kann man keinem anderen gönnen“, lacht Geigle. Heute kann jeder das Prachtstück bewundern, der sich Geigles Sammlung ansieht. Europaweit, meint er, habe sie durchaus einen respektablen Rang. Viele Freunde und Bekannte würden die Objekte kennen und sich sofort melden, wenn sie etwas Interessantes entdeckten. Das sei vor allem deshalb wichtig, weil man auf Flohmärkten heute kaum noch fündig würde. Sich selbst beschreibt Rolf Geigle unumwunden als „grammophonsüchtigen Jäger und Sammler“. Auch alte Möbel gefielen ihm sehr. „Es ist einfach faszinierend, wenn jemand sein Handwerk beherrscht.“ Das Fachwissen müsse unbedingt erhalten werden.

Die Grammophone von Rolf Geigle. Foto: Böhm

Es war Thomas Alva Edison, der 1877 mit seiner innovativen Walzenmaschine aufs Patentamt spazierte. Getrieben von der Idee, das gesprochene Wort zu konservieren, hatte Edison einen Phonographen erfunden, der der Vorläufer aller Musikkonserven werden sollte. Das Prinzip war einfach. Man sprach in einen Trichter, durch den der Schall auf eine Membrane und von dort auf einen Gravierstift übertragen wurde. Der Stift kratzte feine Linien in die Wachsschicht auf einer drehenden Walze. Genauso konnte man den Schall wieder hervorholen, wenn eine Nadel die Linien nachverfolgte. Zehn Jahre später wurden die Linien in ein Schellack- oder Vinymedium eingeritzt und in die Horizontale verlegt. Damit hatte der deutschstämmige Amerikaner Emile Berliner die Schallplatte erfunden. Zum Patent gehörte als Aufnahme- und Abspielgerät das Grammophon. „Man war ziemlich schnell darauf gekommen, dass sich die neue Technik für das Abspielen von Musik eignete“, erläutert Geigle. Schallplatten hatten den Vorteil, tausendfach reproduziert werden zu können. Schnell entstanden erst Manufakturen, dann Fabriken. Doch über lange Zeit blieben Musikaufnahmen Direktschnitte. „Was gesungen oder gespielt wurde, wurde genauso auf die Platte übertragen. Da gab es keine Korrekturen.“

Die damaligen Entwicklungen kann man mit Geigles Erläuterungen und anhand seiner sehr gut strukturierten Objekte selbst nachvollziehen. Und erklingt „Komm ein bißchen mit nach Italien“ von Caterina Valente, erstehen damit auch nostalgische Zeiten wieder auf, als das Leben noch langsamer lief als heute. „Man muss sich überlegen, dass der heutige digitale Klang, ohne Rauschen und ohne Knacken, einfach an der Realität vorbei geht“, meint Rolf Geigle. „In der Wirklichkeit sind Geräusche immer gemischt und nicht so antiseptisch.“ Doch bezogen auf die Handlichkeit sei ein MP3-Player gegenüber einem Mikrophon natürlich im Vorteil.

Foto: Böhm

Die Entwicklung blieb nicht stehen. Nach den Grammophonen mit möglichst großen Trichtern kamen kleine, transportable Geräte. „Damit konnte man sicher sein, zu jeder Party eingeladen zu werden.“ Bei den Standgeräten fürs Wohnzimmer wanderte der Trichter hinter Verkleidungen oder Schranktüren. Tüftler ließen die Trichter in Modellen von Schwarzwaldhäuser oder bei der „Phonolamp“ unter einem Lampenschirm verschwinden. Ende der 1940er-/Anfang der 1950er-Jahre entstand mit dem „Lido“ von Telefunken das erste Gerät, das sowohl mit Handkurbel, als auch voll elektrisch betrieben werden konnte.

Foto: Böhm

 

Die Grammophone von Rolf Geigle in Hengen können besichtigt werden nach Absprache mit ihm unter der Telefonnummer 01 76/75 97 26 92