Die Aggressionen auf der Feier im Festzelt nach dem SV-Cup in Owen am 14. Juli 2024 (der Teckbote berichtete) hatten vor rund zehn Monaten für Aufsehen gesorgt. Es war ein Schatten über die friedliche Veranstaltung gefallen, von einer Schlägerei im Festzelt und Pfefferspray war die Rede und von verletzten Beamten. Nun hat es vor dem Amtsgericht Kirchheim ein juristisches Nachspiel mit einer Anklage gegen einen 23-jährigen Esslinger gegeben, das gleichzeitig etwas Licht in die Vorkommnisse bringt.
„Wir waren vier Beamte als Präsenzstreife vor Ort beim SV Cup, als wir gegen 0.40 Uhr im Rahmen einer Fußstreife vor dem Festzelt sahen, dass der Sicherheitsdienst Probleme mit Gästen hatte“, sagt der Zeuge und gleichzeitig Geschädigte, ein 34 Jahre alter Polizeihauptmeister der Polizeiwache Kirchheim, vor Richter Roberto Santoro aus.
„Alkohol erklärt, aber entschuldigt nicht alles.
Richter Roberto Santoro lässt nur bedingt mildernde Umstände walten.
Dabei sei eine Person herausgestochen, mit der habe er sprechen wollen.
Dazu kam es jedoch nicht, denn plötzlich baute sich der schlanke und groß gewachsene 23-Jährige vor ihm auf, unterschritt dabei deutlich die gebotene Distanz („unangenehm nah“) und nannte den Beamten „Hurensohn“. Zunächst stellte der Polizist nur durch Wegschubsen eine Distanz her, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Zahlreiche Partygäste hatten sich mit den Störenfrieden solidarisiert und waren den vier Polizistinnen und Polizisten numerisch deutlich überlegen.
Als der 23-Jährige ihn aber noch einmal „Hurensohn“ nannte, wollte der Polizeihauptmeister seine Personalien feststellen. Als sich der junge Mann abwandte, hielt der Polizist ihn fest, und als dieser sich losriss, wollte ihn der 34-Jährige auf dem Boden fixieren. Dabei eskalierte die Situation.
„Ich bin auf den Boden gefallen und habe mir den Kopf aufgeschlagen“, gibt der Zeuge vor Gericht an. Der Angeklagte hatte sich auf ihn gesetzt oder sogar gelegt, wie sich im Laufe der Verhandlung herausstellt. Außerdem schlug er ihn insgesamt dreimal auf die Schläfen. „Ich konnte mich nicht hochstemmen“, sagt der Polizist. Panik sei in ihm aufgekommen, denn er habe immer weniger Luft bekommen und dann in höchster Not um Hilfe geschrien. „Das habe ich in zwölf Jahren Dienstzeit noch nie gemacht.“
Dann kam Pfefferspray zum Einsatz, auch das spürte er durch eine Reizung am Auge. Allerdings war es seine Kollegin, die mit dem Sprayeinsatz den aggressiven Angeklagten unschädlich machte und ihm schließlich Handschellen anlegen konnte.
Für den Polizeihauptmeister hatte der Einsatz Folgen: Mit Schädelprellung, Schulterprellung, Schleudertrauma und Augenreizung kam er zunächst ins Krankenhaus. Eine Woche war er danach krankgeschrieben. Dann konnte er zwei Monate nicht im Außendienst arbeiten, ein Dreivierteljahr nahm er Schmerzmittel wegen der Schulterschmerzen, bis Ende März war er in der Physio und bis heute ist er in Gesprächen mit dem psychosozialen Dienst der Polizei. Vor allem die psychischen Folgen machen sich immer noch bemerkbar. „Mich triggert es bis heute, wenn mehrere Leute auf mich zukommen. Wie gehe ich damit um?“, erklärt er.
Der Angeklagte zeigt sich reuig und gleichzeitig ratlos, wie diese Aggression entstanden sein konnte. Er hatte an dem Abend 1,4 Promille Alkohol im Blut, aber das erkläre nicht alles. Der Angeklagte entschuldigt sich beim Zeugen.
Der Richter will wissen, ob er regelmäßig trinke, der Angeklagte erklärt, dass er nicht mehr trinke, ohne den Zeitraum zu spezifizieren. Die Staatsanwältin merkt später an, dass gegen den Angeklagten am Amtsgericht Esslingen ein Strafbefehl wegen Trunkenheit im Verkehr vorliegt, als Datum ist der 13. April 2025 angegeben. Das sorgt für Überraschung, sowohl beim Richter, dass kein entsprechender Vermerk im Bundeszentralregister vorlag, als auch beim Anwalt. „Ja, seitdem trinke ich nicht mehr“, präzisiert der Angeklagte auf Nachfrage.
Richter will Signal setzen
Zugute hält Richter Santoro dem 23-Jährigen, dass er geständig ist und Reue zeigt, eine Arbeit hat und in einer Beziehung lebt. Dennoch wiege der tätliche Angriff und die Beleidigungen gegen einen Staatsbeamten schwer. Mit dem Urteil von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung liegt er drei Monate über der Forderung der Staatsanwältin. „Ich wollte ein Signal setzen, angesichts zunehmender Gewalt gegen Polizei und die Blaulichtfamilie“, erklärt er. „Die begeben sich jeden Tag in ein Risiko. Statt Dankbarkeit für den Einsatz gab es hier eine Aggression ohne Grund. Aber in der Uniform steckt immer auch ein Mensch.“
Außer 3000 Euro Schmerzensgeld (200 Euro pro Monat) an das Opfer muss der Angeklagte 1000 Euro an die Polizeistiftung Baden-Württemberg zahlen. Bei einem Verstoß gegen die Bewährungs- und Meldeauflagen, wozu auch ein Verzug bei der Ratenzahlung gehört, droht unmittelbar die Haft. Das gilt für die kommenden drei Jahre.