Peter Wer gibt Gas. Mit ordentlich Speed fegt der Ingenieur fast über die gesamte Länge seiner Baustelle, die sich vom Boßler- bis hin zum Albvorlandtunnel erstreckt, samt einem kleinen Zipfel auf Wendlinger Markung - mit zackigen Stopps dazwischen. Im Stakkato kommen auch die Informationen zur Situation vor Ort, egal, ob er hinterm Lenkrad sitzt, oder die Besonderheit des Bauwerks unter eiskaltem Himmel erläutert.
Die Exkursion beginnt am Park-and-Ride-Parkplatz Aichelberg. Schon hier sprudeln die Informationen nur so aus dem Teamleiter der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH heraus. Der Albauf- stieg hat es in sich und kann mit Superlativen aufwarten. Damit die ICE-Passagiere nicht wie Astronauten wegen der Zentrifugalkraft in die Sitze gedrückt werden, gibt es klare physikalische Grenzen und damit Formeln, die zu beachten sind. Aus diesem Grund wird ein Schienenstrang einer Zugspur 17 Zentimeter höher installiert als der Gegenpart, mehr geht nicht. Daran wiederum orientiert sich der Radius der Kurve den der Zug fahren kann. Im Boßler sind es 2 305 Meter, denn der dritte Faktor, der in diesem Fall zu beachten war, ist die Geschwindigkeit. Die Vorgabe war die Reisegeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern - und das bei einer Steigung beziehungsweise einem Gefälle von vier Promille. „Das ist eine markante Stelle für Eisenbahner“, charakterisiert Peter Wer den Albaufstieg, der im Tunnel zunächst durch den Boßler führt, dann mit einem hohen Brückenbauwerk über das Filstal weitergeht, ehe es wieder in den Berg und darin auf die Alb Richtung Merklingen geht. Und noch eine Eisenbahner-Weisheit hat er parat: „Das Bremsen ist bei der Bahn das Problem, nicht das Beschleunigen.“
Vom Park-and-Ride-Parkplatz geht es am Betonwerk vorbei, ebenso am „Rastplatz“ für die Tübbinge, die mindestens 28 Tage austrocknen müssen. Erster Halt ist der vor Kurzem fertiggestellte rund 253 Meter lange Tunnel. Weil er relativ kurz ist, wurde er in offener Bauweise hergestellt mit einer leichten Krümmung. „Das sind Regelblöcke mit 8,8 Metern Länge“, beschreibt Peter Wer die Bauelemente. Wenn an dieser Stelle alles ausmodelliert ist, wird sich auf diesem Tunnel wieder der Autobahnparkplatz Urweltfunde Süd befinden.
Es ist ein komplexes Bauwerk, denn direkt an den Tunnel schließt sich ein Hochwassersammelbecken für den Seebach an. „Das ist wie ein U gebaut, quasi eine umgekehrte Badewanne. Der Zug fährt in einem Trog, das Grundwasser darf nicht eindringen - weder seitlich, noch von unten“, beschreibt der Ingenieur das Prinzip. Kommt das Wasser bei Starkregen schwallartig an, können bis zu 84 Kubikmeter abgefangen werden, ehe es über einen Überlauf talabwärts sprudelt. Bis zu einem 100-jährigen Hochwasser-Ereignis soll es zu keiner Überschwemmung kommen. Bei Hochwasser fahren die Züge unterhalb des Wasserspiegels. „Seit dem Mittelalter gibt es hier Erdwälle, die das Wasser an dieser Stelle zurückhalten“, weiß Peter Wer. Der Seebach wurde in der Bauphase mehrmals verlegt, hat jetzt aber sein endgültiges Bett gefunden. Später, und bei normaler Wetterlage, läuft das Bächlein unter der Autobahn durch. Jetzt in der Bauphase wirken die hohen Betonwände wie unkoordiniert in die Landschaft aufgestellt.
Die Uni Stuttgart hat schon im Jahr 2000 für die komplette Anlage einen Modellversuch gestartet und maßstabgerecht kleine Schwimmbecken aufgebaut, in denen verschiedene Wasserstände simuliert wurden. Styropor zeigte dabei das Verhalten von Gegenständen auf, die bei Hochwasser gerne mitgeschwemmt werden. „Dank dieser Versuche ist die Anlage optimiert worden“, sagt Peter Wer. So wurde das Gefälle berechnet, weshalb es jetzt eine Beschleunigungsstrecke gibt, damit es nicht zu Wasser-Verwirbelungen kommt. Etwa in der Mitte des Bauwerks ist ein Loch eingebaut. „Es wird Luft raus- oder reingedrückt - es hat eine Art Ventilwirkung. Außerdem haben die Lebewesen dann auch Licht“, erläutert der Ingenieur. Das Tosbecken dient dem Abbau von Energie. Zudem gibt es Störsteine und Verwinkelungen, damit sich das Wasser beruhigt, und eine „überschnittene Bohrpfahlwand“ sorgt dafür, dass die gesamte Anlage mit zehn Meter Höhe nicht weggeschwemmt wird.
Die Verbindungsstraße zwischen Weilheim und Holzmaden ist zur Zeit zwar gekappt, wird aber irgendwann über der Schnellbahntrasse und der A 8 wieder bestehen. Für Fußgänger und Radfahrer gibt es jedoch eine Brücke über die Baugrube. Dass richtig an der Bahnstrecke geschafft wird, wird den Autofahrern kurz vor Holzmaden deutlich vor Augen geführt. Hier müssen sie einen Haken schlagen, um an der Brückenbaustelle vorbeizukommen.
Ordentlich umgemodelt wurde bei der Verlegung der Lindach. Nach der Weilheimer Kläranlage mäandert sie seit 2016 in ihrem neuen Bett. „Ein Fluss ist unberechenbar. Er hat eine Eigendynamik, aber zu 90 Prozent geht die Verlegung gut. Nachbesserungen sind jedoch einkalkuliert“, sagt der Ingenieur. Unmittelbar danach führt die neue ICE-Brücke über die Lindach samt dem Wirtschaftsweg entlang des Gewässers. Sie besteht aus zwei Teilen, die aus Naturschutzgründen - der Lindach geschuldet - versetzt parallel zur Autobahn verläuft.
Danach steigt das Gelände im Gewann Hasenholz in Richtung Jesingen an. „Das wird abgetragen“, sagt Peter Wer und spricht von einer „negativen Massenbilanz“. Das heißt, es muss noch Erde hergekarrt werden. Erst wenn die großen Bauwerke stehen, findet die Profilierung statt - sprich, es werden die Erdmassen bewegt. Die Baustellenfahrzeuge können dann problemlos auf der Trasse die Erde transportieren. „Der Beton des Hochwasserbeckens wird nachher nicht mehr zu sehen sein“, verspricht Peter Wer. Im Hasenholz befinden sich auch die Natter-Abschussrampen. Kurz vor Kriegsende 1945 sollten die Raketenflugzeuge dort im Rahmen der „Operation Krokus“ feindliche Bomberverbände abwehren. Weil sie unter Denkmalschutz stehen, wurde eine Rampe versetzt.
Info Im vergangenen Sommer waren zu Spitzenzeiten bis zu 140 Arbeiter auf der Baustelle zwischen Boßler und Holzmaden beschäftigt. 25 Mitarbeiter gehören zum Team von Peter Wer. Dazu zählen unter anderem Bauingenieure und Geologen. Es gibt aber auch eine ökologische Bauüberwachung, die sich um Krebse im Fluss und Eidechsen in der Flur kümmern. „Wir machen den Rohbau fertig und sind für den Erd- und Grundbau zuständig. Die Schienen verlegen andere“, sagt der Ingenieur, der seit 2008 an dem Projekt arbeitet. „Noch gut zwei Jahre, bis Mitte 2019 - dann ist das meiste hier erledigt“, schätzt er. Dann folgt die Übergabe - und eine neue Baustelle.