Es ist August 2015, als Alaa Alkhalili im Flüchtlingscamp in der Weilheimer Egelsbergstraße ankommt. Nach Karlsruhe und Mannheim ist die Stadt unter der Limburg die dritte Station des jungen Mannes aus Syrien in Deutschland. An seinem Ankunftstag brennt die Sonne vom Himmel – so stark, dass sich der Container, der ihm zugewiesen wird, wie ein Backofen anfühlt. 3400 Kilometer von seiner Familie entfernt, in einem Camp mit fast 100 anderen jungen Männern unterschiedlicher Herkunft, fragt sich Alaa Alkhalili: „Wo bin ich nur gelandet?“ Was er in dem Moment nicht ahnt: Er hat das ganz große Los gezogen.
Juni 2022. Alaa Alkhalili sitzt auf den großen Steinen an der Lindach und blinzelt in die Morgensonne. Mittlerweile wohnt er zusammen mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern in Jesingen. Trotzdem kommt er regelmäßig zurück nach Weilheim – um alte Bekannte zu treffen, Trost zu suchen, oder einfach so. „Weilheim ist mein Zufluchtsort geworden“, sagt er.
„Damals war ich wie ein Baby“, blickt er sieben Jahre zurück: „Ich kannte niemanden und konnte die Sprache nicht.“ Selbst sein Englisch hatte er nach den Erlebnissen in Syrien und auf der monatelangen Flucht vergessen. „Mein Kopf war kaputt“, beschreibt es Alaa Alkhalili.
Doch dann geschieht etwas, das alles verändert. Kaum im Camp angekommen, wird Alaa Alkhalili an die Hand genommen: „Die Menschen in Weilheim und besonders die Mitglieder des AK Asyl waren wie Bienen. Sie wollten immer helfen – und das hat mir sehr geholfen“, erzählt er.
Die Hilfsbereitschaft erfährt er in Weilheim an vielen Orten: in der Fahrradwerkstatt und der Kleiderkammer, bei der Theatergruppe im Freiraum oder bei Treffen im Café Wesleys. Zum ersten Mal hat der junge Mann aus Syrien wieder das Gefühl, frei atmen zu können. Ein bisschen ist das für ihn wie der Einzug ins Paradies.
Was ihn besonders trägt und stärkt, ist das Lächeln der Menschen. Er empfindet es wie Balsam, wie ein Medikament, das heilt. Und Heilung braucht der junge Mann mit palästinensischen Wurzeln.
Vom Helfer zum Staatsfeind
Während des Krieges in Syrien beginnt Alaa Alkhalili, als Freiwilliger in einem Krankenhaus im Palästinensercamp bei Homs zu arbeiten. Dort sieht er Dinge, die er lieber nie gesehen hätte. Dass er kranken und verletzten Menschen hilft – egal auf welcher Seite sie stehen –, wird ihm zum Verhängnis. Die syrische Regierung erklärt ihn ebenso wie viele andere Krankenpfleger und Feuerwehrleute zu Staatsfeinden.
Alaa Alkhalili schüttelt den Kopf, wenn er daran zurückdenkt. „Dabei ist das gar nicht mein Krieg“, betont der Sohn eines Palästinensers. „Ich bin einfach ein Mensch und habe Menschen geholfen.“ In dieser Zeit entdeckt der IT-Fachmann, der in Syrien einen eigenen IT-Shop besitzt und bis dato am liebsten alleine vorm Computer gesessen hat, wie viel Freude ihm die Pflege und vor allem der Kontakt mit Menschen bereitet.
Irgendwann steht fest: Wenn Alaa Alkhalili in Syrien bleibt, kommt er ins Gefängnis. Also lässt er seine schwangere Frau und seine Eltern, sein Haus und seinen IT-Shop zurück und flieht. Sein Geld verliert er an einen betrügerischen Schleuser und legt die Strecke von Griechenland bis Serbien zu Fuß zurück. Meistens schläft er auf der Straße, manchmal auch im Motel.
Seine Frau muss ins Gefängnis
Sechs Monate braucht der junge Mann, bis er schließlich in Deutschland ankommt und in Sicherheit ist. Seine Frau hat nicht so viel Glück: Sie wird verhaftet. Umgerechnet 25 000 Euro kostet es, sie freizukaufen – eine Summe, die Alaa Alkhalili eigentlich gar nicht hat und die er sich bei anderen borgen muss.
Dann, 2017, ist sein Glück endlich perfekt: Er kann er seine kleine Familie dank des Familiennachzugs in Weilheim in die Arme schließen. Zum ersten Mal sieht er da auch seinen fast zwei Jahre alten Sohn. Gemeinsam ziehen sie nach Hepsisau – ein weiterer kleiner Ort, den Alkhalili ins Herz geschlossen hat. „Die Leute sind zauberhaft dort. Sie lachen immer“, sagt er.
Die Macht des Lächelns fasziniert den wortgewandten jungen Mann, der in seiner Freizeit Theater spielt, Stücke schreibt, Musik macht und arabisch kocht, bis heute. „Es war immer mein Traum, Autor zu sein“, verrät er. Einmal hat er sich mit der Kamera auf die Suche nach dem Lächeln gemacht und Menschen gefilmt, die ihm entgegenkommen – in Stuttgart, Esslingen und Plochingen, und dann in Kirchheim und Weilheim. Er stellt fest: Je größer die Stadt, desto weniger lächeln die Menschen. „Ich bin sehr froh, dass ich in eine kleine, freundliche Stadt gekommen bin.“
So entspannend wie Yoga
Als 2018 die Tochter auf die Welt kommt, verlässt die Familie Hepsisau und zieht nach Jesingen. „Dort ist es auch schön, und die Menschen sind freundlich“, sagt Alaa Alkhalili. Seine Nummer eins bleibt aber Weilheim. „Hier an der Lindach oder in Hepsisau unter den Kirschbäumen zu sitzen – das ist wie Yoga“, findet er und schmunzelt. Vor allem aber sind es die Menschen, die er in sein Herz geschlossen hat und denen er ewig dankbar sein wird.
Jetzt, sieben Jahre nach seiner Ankunft, hat Alaa Alkhalili einen Brief mit dem Titel „Lächeln unter der Teck“ geschrieben, mit dem er sich bei den Weilheimern bedanken möchte: eine Liebeserklärung an eine Stadt und vor allem an ihre Menschen. Irgendwann könnte daraus sogar noch mehr werden, glaubt er: „Eines Tages werde ich meinen Kindern davon erzählen oder einen Roman über das Lächeln an der Teck schreiben.“
Aktuell macht Alaa Alkhalili aber erst einmal eine Ausbildung zur Pflegefachkraft in der Göppinger Klinik am Eichert. „Helfen, jemandem die Hand halten oder einfach ein Lächeln schenken – das ist eine schöne Arbeit“, sagt er und seine Augen leuchten.