Wieder und wieder läuft der zartgelbe, vier Kilo schwere, Nudelteig unter der Edelstahlwalze hindurch, mal in die eine Richtung, mal in die andere. „Emmer rom ond nom“, so drückt es Friedrich Belz auf gut schwäbisch aus. „Mach ihn ein bisschen dünner“, bittet ihn seine Ehefrau Sabine Belz. Noch einmal dreht er an dem silbernen Handrad, um die Walze weiter abzusenken. Es ist einer der letzten Arbeitstage des Ehepaars. Von dieser Woche an bleibt die Tür zur Teigwarenfabrik - schlicht ein Zimmer im Wohnhaus - geschlossen.
„G’füllde Nudla“ mit Maultaschenteig „vom Belz“ - das gehört in Oberlenningen zusammen wie Feuerwerk und Silvester. Doch zum Jahresende stellt die Fabrik in der Kernerstraße ihren Betrieb ein. „Ich werde 70“, sagt Friedrich Belz. „Ich glaube, da darf man aufhören.“
Die Sorge, dass die Maschine ihren Dienst quittieren könnte, trieb den Chef in den vergangenen Wochen um. Wie alt das Unikum ist, das mit ohrenbetäubendem Rattern den Teig nicht nur walzt, sondern ihn ähnlich einer Wäschemangel auch glättet und unter lauten Knallgeräuschen Luftblasen zum Platzen bringt, kann der gelernte Kaufmann gar nicht sagen. 1946 hatte sein Vater sie gebraucht gekauft. 1980 übernahm Friedrich Belz mit seiner Ehefrau den elterlichen Betrieb, der 1955 von Owen nach Oberlenningen gezogen war, samt seinem gusseisernen Herzstück. Walzen und Zahnräder wurden erneuert. Ansonsten ist die Maschine im Originalzustand und verlangt - unzählige Tonnen Teig auf dem Buckel -, gehätschelt und gepflegt zu werden.
Hand in Hand arbeitet das Ehepaar tagtäglich zusammen. „Ich sage immer, ich bin 80 Jahre verheiratet, nicht 40“, sagt Sabine Belz schmunzelnd mit Blick darauf, dass sie und ihr Mann nicht nur die Freizeit, sondern auch den Arbeitsalltag teilen. Während er Herr über die Nudelmaschine und den Kollergang ist, der den Teig vorpresst, rollt sie flugs die meterlangen Bahnen auf Papier und wiegt die Portionen auf einer antiken Waage, die jedes Sammlerherz höher schlagen lässt. Wer gerade die Hände frei hat, übernimmt das Eintüten in den Folienschlauch. Jedes Päckchen erfüllt den Wunsch des Kunden: Das gilt nicht nur für das Gewicht, sondern auch für die Dicke des Teigs. „Manche wollen ihn hauchdünn, andere herzhaft“, erklärt die 61-Jährige.
In der ersten Wochenhälfte stellte der „Zwei-Mann-Betrieb“ Teig für Maultaschen her. Donnerstags und freitags stand die Produktion beziehungsweise das Verpacken der luftgetrockneten Band- und Suppennudeln an. War die Arbeit zu Hause erledigt, setzten sich die Eheleute ins Auto und fuhren die bestellte Ware aus.
Die Gewohnheit der Schwaben, an Karfreitag besonders gern die „Herrgottsbscheißerle“ zu essen, wie Maultaschen auch genannt werden, bescherte dem Betrieb vor Ostern stets das größte Geschäft. Allein für einen Kirchheimer Bäcker mussten jedes Jahr 500 Rollen à ein Pfund gepackt werden.
Hartweizengrieß, pasteurisiertes Ei, etwas Salz und Wasser - das sind die Zutaten, die Friedrich Belz für seinen Teig mischt. Mal braucht es etwas mehr, mal etwas weniger Wasser. „Das kommt auf den Grieß, aber auch auf das Wetter an. Dafür entwickelt man im Lauf der Zeit ein Gefühl“, so der Fachmann. Im Teig für Maultaschen stecken weniger Eier als in dem für Nudeln. Dadurch wird er geschmeidiger und lässt sich besser walzen. Bereits im vergangenen Jahr trat das Ehepaar kürzer und stellte die Belieferung von Bäckereien und Lebensmittelgeschäften ein. Kunden waren neben Privatleuten und der örtlichen Schulmensa noch Gaststätten und Metzgereien im Umkreis von knapp 20 Kilometern.
Komisches Gefühl beim Abschied
Sabine Belz hat beim Gedanken ans Aufhören ein etwas komisches Gefühl. „I et“, sagt ihr Ehemann dagegen trocken. Doch wenn er an die Kunden denkt, mit denen ihn seit Jahrzehnten ein freundschaftliches Verhältnis verbindet, fällt auch ihm der Abschied vom Beruf nicht ganz leicht. Für die bisherigen Abnehmer bedeutet die Schließung der Fabrik, sich auf die Suche nach einem anderen Teighersteller machen zu müssen. Mancher hat Probleme, einen Lieferanten zu finden.
Friedrich Belz und seine Ehefrau werden nun zwar nicht noch mehr Zeit miteinander, aber mehr Freizeit haben. „Der Wohnwagen steht bereit“, sagt Sabine Belz. Genauso das Segelflugzeug, von dessen Cockpit aus ihr Mann nicht nur die Heimat der Maultasche gern von oben betrachtet.