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Ausgrenzung geht gar nicht

Toleranz Kinder werden in Kitas und Kindergärten für Vielfalt sensibilisiert. Das Singen von Liedern in verschiedenen Sprachen, Bücher und auch Buntstifte für Hautfarben können helfen. Von Alexandra Gaida-Steingaß

Offenheit und Wertschätzung für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Bildungsstands oder ihrer Geschlechts- und Religionszugehörigkeit – schon früh begleiten Organisationen und Bildungseinrichtungen Kinder und Jugendliche zu diesem Thema. Sozialpädagogin Marie Hassel, beim SOS-Kinderdorf in Göppingen im Bereich der Hilfen für Erziehung tätig, erklärt: „Dass es Konflikte zum Thema Herkunft oder Religion gibt, ist täglicher Bestandteil unserer Arbeit. Gerade Jugendliche setzen sich stark mit ihrer Identität auseinander, müssen sich abgrenzen. Das gehört zur menschlichen Entwicklung.“ Jeder Mensch bringe seine persönliche Biografie mit. Doch es komme darauf an, wie man einen Konflikt moderiere und Kinder und Jugendliche im Umgang mit sensiblen Themen schule. „Beleidigung, Diskriminierung und Ausgrenzung dürfen nicht akzeptiert werden.“

 

Es gibt nicht die eine Diskriminierung oder den einen Rassismus.
Giuliano Ryll
Pädagogischer Berater im Büro für diskriminierungskritische Arbeit Stuttgart

 

Es sei wichtig, bereits in Kindertageseinrichtungen eine Willkommenskultur zu etablieren und auf Konflikte kindgerecht zu reagieren. „Schlagworte wie Diversität oder Rassismus sind für jüngere Kinder noch zu abstrakt. Es geht vielmehr darum, die Toleranz und das Miteinander zu fördern, unter anderem durch das Singen von Liedern in verschiedenen Sprachen, durch entsprechende Bücher und vieles mehr“, erläutert Marie Hassel.

Auch vermeintliche Kleinigkeiten, wie beispielsweise das Angebot verschiedener Stiftfarben zum Malen der Hautfarbe, sei wichtig. Dazu die Sozialpädagogin: „Früher gab es eine Farbe zum Anmalen eines Gesichts, die ‚hautfarben‘ hieß. Doch jeder Mensch hat eine andere Hautfarbe, von hell bis dunkel. Diese scheinbaren Geringfügigkeiten können den Identitätsprozess in Richtung eines toleranten Miteinanders lenken.“

Giuliano Ryll, pädagogischer Berater im Büro für diskriminierungskritische Arbeit Stuttgart, führt dazu aus: „Rassismus ist immer ein strukturelles Problem, das unter Umständen bereits mit der Geburt anfängt, denn da gibt es schon erste Fremdzuschreibungen, klassischerweise in Bezug auf die Hautfarbe.“ So sei eine frühe Aufklärung von Kindern und Jugendlichen wichtig. Während Toleranz und Vielfalt in Kitas und Kindergärten spielerisch in den Alltag integriert werden, gibt es an Grundschulen und weiterführenden Schulen verschiedene Antidiskriminierungsprojekte.

Wichtig sei es, mit von Diskriminierung betroffenen Schülern im Gespräch zu bleiben. Dazu Marie Hassel: „Jeder Mensch hat eigene Vorstellungen. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche lernen, zu akzeptieren, dass es auch andere Vorstellungen gibt und dass diesen eine Wertschätzung entgegengebracht werden muss. Diskriminierte ermutigen wir, ihre Gefühle zu äußern, denn jeder Mensch nimmt unterschiedlich wahr, hat eine individuelle Grenze.“ Wichtig sei dabei, den Kindern und Jugendlichen zu signalisieren, dass man dafür sorge, dass die Gefühle wahrgenommen würden, dass man die Betroffenen dabei unterstütze, die Gefühle auszudrücken und mit dem Gegenüber in den Dialog zu treten. „So, wie du es wahrnimmst, ist es richtig. Es gibt keine falschen Gefühle.“

Auch Giuliano Ryll betont: „Es existiert nicht die eine Diskriminierung oder der eine Rassismus, sondern eine Vielzahl, die unterschiedlich wirken können.“ Allein aus diesem Grund müsse diskriminierungskritisches Denken und Handeln ein Grundpfeiler täglicher Arbeit in jeder Institution sein, egal ob es sich um ein Ministerium, einen Verein oder eine Schule handelt. So würde beispielsweise in Talkshows meist über von Rassismus betroffene Menschen diskutiert, anstatt mit ihnen zu sprechen.

Die klare Forderung an die Gesellschaft laute deshalb: Wir brauchen euch und wir brauchen eure Unterstützung, aber hört bitte gleichzeitig den Betroffenen zu und gebt ihnen ein Gesicht und eine Stimme, wünscht sich Ryll. Wichtig sei dabei, wahrzunehmen, wie viele Menschen allein aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe immer noch nicht dieselben Bildungschancen haben wie andere. „Diskriminierung begegnet uns täglich, in Schulen oder am Arbeitsplatz, doch als Zugehöriger der Mehrheitsgesellschaft nehmen wir dies häufig gar nicht wahr.“ Der Prozess, rassis­tische Strukturen aufzubrechen, sei ein lebenslanger Prozess, der die kommenden Generationen in Anspruch nehmen, wenn nicht sogar überdauern werde. Schluss-
endlich gehe es darum, dass man für Zusammenhalt sorge, mit so vielen Menschen wie möglich. „Auch, wenn diese nicht unmittelbar von Rassismus betroffen sind.“

Umso wichtiger sei es deshalb, dass gerade in Kindergärten und Schulen das Thema Diversität und Diskriminierung regelmäßig aufgegriffen werde, findet Giuliano Ryll. Denn es sei nicht damit getan, Kindern und Jugendlichen ein einmaliges Projekt zu präsentieren. „Das dauerhafte Vorleben von Diskriminierungskritik und Diversität ist entscheidend.“

 

Die Nummer gegen Kummer soll helfen

Hilfe Für Opfer von Mobbing gibt es Hilfsangebote: Die Nummer gegen Kummer (kostenlos) lautet 08 00/1 11 03 33. Für Kinder und ­Jugendliche gibt es zusätzlich die Nummer 11 61 12.

Beraten lassen kann man sich außerdem über das Büro für diskriminierungskritische Arbeit in Stuttgart, erreichbar unter der Nummer 07 11/2 37 26 82.

Weitere Infos gibt es online auf www.bfda.de und auf www.schule-ohne-rassismus.org.