Tag vier bricht an in der Escuela Waldorf „San Miguel Arcángel“ im Stadtteil Villa Adelia in der argentinischen Millionenmetropole Buenos Aires: Für den Bissinger Fabian Chittaro ist eine weitere Nacht auf einigen Yoga-Matten zu Ende gegangen. „Ich bin froh, dass ich die Matten gefunden habe“, erzählt er am Telefon via WhatsApp-Call. Denn in der Nacht zuvor musste er noch auf dem Holzboden des Klassenraums schlafen. Die morgendliche Dusche fällt hingegen wieder einmal aus, denn es gibt keine im Schulgebäude.
Der riesige Komplex ist für den 19-Jährigen und die vier weiteren deutschen Mitglieder der Freiwilligen-Organisation „Freunde der Erziehungskunst Rodolf Steiners“ durch die Coronakrise zu einem provisorischen Zuhause geworden. „Jeder hat einen eigenen Klassenraum“, erzählt er am Telefon. Trotz der schwierigen Umstände ist Fabian Chittaro froh, es wenigstens aus Córdoba im Landesinneren, wohin ihn der Internationale Jugendfreiwilligendienst zu seinem freiwilligen sozialen Jahr geschickt hatte, im Bus bis nach Buenos Aires geschafft zu haben.
Als vor zwei Wochen Argentinien die Ausgangssperre verhängt hatte, entstand in Córdoba eine beunruhigende Stimmung. Blonde Europäer wie Fabian galten plötzlich als potenzielle Virenverbreiter. „In Geschäften wollte man uns nicht mehr bedienen“, erzählt er. „Dort habe ich das erste Mal am eigenen Leib Rassismus erlebt.“ Außerdem gab es aus dem Landesinneren keine Direktflüge in die Heimat. „In Buenos Aires ist zumindest der internationale Flughafen“, sagt Fabian Chittaro. In der Hauptstadt sollten sie zunächst in Gastfamilien unterkommen. Fabian Chittaro hatte jedoch die Idee mit der leer stehenden Waldorf-Schule. „Hier sind wir zusammen und kommen schneller weg“, sagt er.
„Fühlen uns im Stich gelassen“
Doch genau das erweist sich derzeit als schwierig. Sie wissen nicht einmal, wann die nächsten Rückholflüge nach Deutschland starten. „Beim Konsulat weiß man nichts. Wir fühlen uns im Stich gelassen“, sagt er. Die für Südamerika zuständige Leitung der Freiwilligen-Organisation habe zwar Druck gemacht, aber nichts erreichen können. Bei den Rückflugprogrammen der Bundesregierung stehe man zwar auf der Liste, sei beim bislang einzigen Flug aber nicht berücksichtigt worden. Damit wurden Kinder, Kranke und ältere Leute geholt. „Von Lufthansa haben wir erfahren, dass die Flieger auch nicht voll sind, wegen der Sicherheitsabstände. Es kann deshalb sein, dass wir noch 14 Tage warten müssen“, sag Fabian Chittaro. Es heißt also erst mal ausharren für unbestimmte Zeit.
Immerhin können sie sich selbst versorgen. Die Schulküche dürfen sie nicht benutzen, nur eine kleine Kochnische. Einkaufen ist trotz Ausgangssperre erlaubt. Aber selbst dann will man als blonder Europäer der Polizei nicht begegnen. „Wir warten ab, bis die Patrouille am Schulgebäude vorbeigefahren ist, und gehen dann raus“, erzählte er. Die Stimmung ist auch in Buenos Aires gereizt. „Die haben alle Angst, dass sie sich anstecken“, sagt er.
Den Tag vertreiben sie sich mit Basketballspielen. „Wir haben Glück gehabt, dass wir auf den Platz können“, sagt er. Man freut sich in dieser Situation auch über die kleinen Dinge. Nur krank werden sollte keiner. „Wir wissen überhaupt nicht, wo ein Arzt ist“, sagt Fabian. Dass sie keine Informationen bekommen, wie es weitergeht, macht ihn wütend. „Da macht man ein Freiwilligenjahr, arbeitet unentgeltlich, und dann wird man so behandelt“, ärgert er sich. Aber er freut sich jetzt schon auf die erste Dusche in der Heimat. Vielleicht ist dann auch der Ärger verflogen und den positiven Erinnerungen gewichen: „Diese Zeit werde ich nie vergessen. Wir sind hier zu einer Familie geworden.“