Kirchheim. Im Prozess am Stuttgarter Landgericht gegen einen 31-Jährigen, der mit einer Schere einen 20-Jährigen attackiert haben soll, hat am gestrigen Verhandlungstag der 20-Jährige die Angaben des Angeklagten als Lüge bezeichnet. Keinesfalls habe er den Angeklagten zuerst angegriffen oder gar gewürgt.
Das Verfahren gegen den 31-jährigen Mann aus Tunesien gestaltet sich vor der Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts mehr und mehr zum Frage- und Antwortspiel zwischen Beschuldigtem und Opfer. Der 31-Jährige soll laut Anklage in einer Kirchheimer Flüchtlings-Wohnunterkunft den 20-jährigen Syrer im Streit um ein verweigertes „Dankeschön“ mit einer Schere schwer verletzt haben. Doch er macht Notwehr geltend, weil angeblich das Opfer ihn zuerst geschlagen, gewürgt und letztlich mit einem Klappmesser bedroht habe.
Am gestrigen vierten Prozesstag wies der 20-Jährige im Zeugenstand die Aussage des Angeklagten hinsichtlich der angeblichen Schläge und dem Würgen von sich. Das habe überhaupt nicht stattgefunden, entrüstete sich der Tunesier: „Ich habe ihn keinesfalls angefasst“, sagt er.
Zeuge erscheint unglaubwürdig
Auch den Vorhalt der Richter, er hätte den 31-Jährigen zu Boden geworfen, mit beiden Händen am Hals gepackt und zugedrückt, wies der Zeuge zurück. Richtig hingegen sei, dass der Angeklagte ihn nach einem kurzen Disput angriff, die Schere vom Küchentisch nahm und damit auf sein Gesicht einstach. Zwei Stichwunden, eine am Ohr und eine an der Wange, mussten genäht werden.
Allerdings machte der Zeuge keinen sehr glaubhaften Eindruck vor den Stuttgarter Richtern. Auf Nachfragen wich er häufig aus und zudem verwickelte er sich in Widersprüche, beispielsweise bei der Frage, ob er damals einen Notruf an die Polizei absetzte und berichtet hätte, es habe eine Vergewaltigung stattgefunden. Auch dieses verneint der Zeuge jetzt. Dazu will die Strafkammer am nächsten Verhandlungstag den Polizeibeamten vernehmen, der den Anruf entgegengenommen hatte.
Was den Drogenkonsum betrifft, sagte der Zeuge gestern aus, dass in der Kirchheimer Wohn-Unterkunft nahezu alle Bewohner kiffen und viel Alkohol konsumieren. Zu dieser Suchtfrage hat das Gericht gleich zwei Sachverständige geladen, die in einem Gutachten darüber Auskunft geben sollen, ob beide Kontrahenten, Angeklagter und Opfer, zur Tatzeit im Januar dieses Jahres zum einen betrunken und zum anderen bekifft waren. Daraus werden die Richter dann eine mögliche Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit ableiten. Bernd Winckler