Pfarrerin Cornelia Krause warnt: „Wer Erfahrungen gemacht hat mit sexualisierter Gewalt oder mit Diskriminierung, bei dem können die Informationen, Sätze und Bilder der Ausstellung ‘gesichtslos’ Erinnerungen auslösen“. Die Esslinger Pfarrerin schreitet durch den Saal in der Franziskanerkirche. Es ist ein wenig kalt, der Raum ist nicht beheizt. Der Blick nach vorn fällt auf hübsche Bleiglasfenster, darunter steht ein hölzernes Kruzifix.
In der Mitte des Saals stehen etliche Staffeleien in einer langen, schmalen Reihe. Auf ihnen sind gut 40 Fotografien ausgestellt. Sie zeigen Frauen: Eine ist mit Jeans und Lederjacke bekleidet und hält ein Kind an der Hand, viele stecken in Dessous – manche von ihnen sind mit Männern abgebildet – und eine Frau mit langen, sorgfältig geflochtenen Braids hat nicht mehr als einen schwarzen Slip am Leib. Es sind schwarz-weiß-Fotografien. Haar- und Hautfarbe der Frauen sind nur zu erahnen. Doch eines haben die Abgebildeten gemeinsam: Ihre Gesichter sind hinter weißen Masken verborgen. Und: Sie alle sind oder waren Prostituierte.
Zitate geben Einblick
Neben jeder Fotografie steht ein Zitat. „Es gibt sehr verschiedene Wünsche. Manche Männer wollen nur reden. Andere haben Fetische. Einige wollen die Frauen auch einfach nur für Geld demütigen. Und es gibt die, die nur schnellen Sex wollen“, beschreibt eine Prostituierte ihren Arbeitsalltag. Eine andere berichtet aus ihrer Vergangenheit: „Am Anfang wollte ich Altenpflegerin werden, da meine Oma sehr krank war, und ich ihr gerne geholfen hätte. Später wollte ich Polizistin werden. Weil ich missbraucht wurde, dachte ich, ich könnte andere Kinder aus dieser Position heraus retten.“
Fotografiert hat die Frauen Hyp Yerlikaya. In Kooperation mit der diakonischen Beratungsstelle Mannheim hat der Fotograf die insgesamt zehn Frauen von 2019 bis 2021 begleitet. Durch die Initiative des Soroptimist International Club Esslingen, der gegen Menschenhandel und Sexsklaverei kämpft, und in Zusammenarbeit mit dem Kreisdiakonieverband sowie dem „Kloster für die Stadt“ kommt die Ausstellung nun nach Esslingen.
Ohne dass die Frauen ein Gesicht zeigen, soll ihnen „ein Gesicht gegeben werden“, sagt der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands Eberhard Haußmann. Ein Zeichen dafür, wie es wirklich aussieht, ist, dass alle Beteiligten von „Prostituierten“ und nicht von „Sexarbeiterinnen“ sprechen. Karla Humburg-Wallis, Präsidentin des Soroptimist International Club Esslingen (SI-Club), betont, dass die Prostitution eben keine normale Arbeit ist.
Humburg-Wallis und ihre Kollegin Gudrun Weckmann-Lautsch erklären, dass über 90 Prozent der Prostituierten nicht aus Deutschland kommen. Die meisten stammen aus Rumänien, nur wenige sprechen deutsch. „Sie erleben zum Teil die Hölle, viele haben bereits in der Kindheit Gewalt erlebt“, sagen die Expertinnen. „Sie sind ein gefundenes Fressen für Menschenhändler“, erklärt die Präsidentin. Sie berichtet, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit als freiwillige Sexarbeiterinnen bekannt sind, zwar sehr selten sind, dafür aber sehr präsent. „Und die Öffentlichkeit glaubt dann, dass es sich bei der Prostitution um Blümchensex handelt“, ärgert sich Karla Humburg-Wallis, die sich auch für die Entstehung des Kirchheimer Frauenhauses verdient gemacht hat.
Zusammengefunden haben die Organisationen durch den Prozess gegen Jürgen Rudloff. Der Betreiber des ehemaligen Esslinger Bordells „Paradise“ wurde wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel und Zuhälterei sowie Betrugs in Millionenhöhe verurteilt. Direkt in den Bordellen vor Ort sind die Engagierten der Beratungsstelle „Rahab“ des Kreisdiakonieverbands. Sie sehen, wie es in den Einrichtungen aussieht, sprechen mit Prostituierten, beraten sie und helfen ihnen beim Ausstieg.
Kirche will Raum geben
Dass sich die Kirche so stark um Prostituierte kümmert, scheint laut Pfarrerin Cornelia Krause fast schon naheliegend: „Es geht um Armutsprostitution. Uns steht es gut an, wenn wir das Thema in unserer Kirche beherbergen, weil es unsere Aufgabe ist, etwas gegen die Armut zu tun.“ Zu der Ausstellung passt daher auch die Jahreslosung der Kirche: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Der Satz stammt von der Sklavin Hagar, die von Abraham geschwängert und von seiner Frau Sara misshandelt wurde.
Info: Die Ausstellung wird am Freitag, 3. Februar, eröffnet. Um 18 Uhr findet eine Vernissage statt, bei der auch der Fotograf Hyp Yerlikaya anwesend sein wird. Freitag, 10. Februar, findet dann eine Midissage inklusive Podiumsdiskussion statt. Führungen können vereinbar werden unter 0 70 22/93 27 75. Die Ausstellung kann bis Samstag, 25. Februar, besucht werden.
Prostituierte finden Unterstützung
Die Diakonie bietet an vielen Orten in Deutschland Beratung, Begleitung und niederschwellige Anlaufstellen für Frauen in der Prostitution an. Die Beratungsstelle des Kreisdiakonieverbands ins Esslingen heißt „Rahab“. Die Anlaufstelle ist online unter www.kreisdiakonie-esslingen/rahab zu finden. Die Beraterinnen bieten direkte und praktische Unterstützung an – kostenlos und bei Bedarf anonym.
Beraterin Nora Triantafiludis nennt elf Bordelle und ähnliche Einrichtungen im Kreis. In Nürtingen gibt es die meisten. Auch Leinfelden Echterdingen ist ein Schwerpunkt, was auch an der Nähe zum Flughafen liegt.
Für das „Bündnis Nordisches Modell“ spricht sich Karla Humburg-Wallis vom SI-Club Esslingen aus. Prostitution gilt laut der Bündnismitglieder als Menschenrechtsverletzung. Weil etwa 90 Prozent der Prostituierten aus dem Ausland sind, werden sie leicht isoliert und enden nur all zu schnell in einer Zwangslage. kd