Die unglaubliche Schaffenskraft des Buchkünstlers Gotthilf Kurz wird mit einer Ausstellung im Dettinger Rathaus gewürdigt. Deutlich kommt dabei zum Ausdruck, wie er sich vom Handwerker zum Künstler mit einer großen Bandbreite entwickelt hat. Großformatige Kunstwerke aus Leder und einer Holz-Metall-Kombination sind zu bestaunen, ebenso Aquarelle, Skizzen, Kassetten – und kunstvoll gestaltete Bucheinbände sowieso. Das Lebenswerk birgt viele Überraschungen. So kommt die Reiseleidenschaft von Gotthilf Kurz – egal ob durch Nordspanien, das damalige Jugoslawien, Japan oder San Francisco – ebenso zum Ausdruck wie seine Liebe zur rauen Alblandschaft, die er gerne im Winter festhielt. Die Grenzen sprengte er aber auch in seinem Kunstschaffen. Die Blindprägung ist seine Erfindung, schon früh in seinem Künstlerleben setzte er sich damit auseinander. „Er hat sich immer wieder ausprobiert“, beschreibt ihn seine Nichte Waltraud Kurz.
Geboren wurde Gotthilf Kurz am 4. September 1923 in Reudern. Dort wuchs er mit vier jüngeren Geschwistern in einem pietistischen Elternhaus auf. Dies sollte ihn ein Leben lang prägen. Die Bibel war für ihn das Buch der Bücher, schöne Einbände dafür zu schaffen ein zentrales Thema seiner Arbeiten. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre als Handschuhmacher bei der Kirchheimer Firma Spieth und lernte so das Leder sehr zu schätzen, es faszinierte ihn. Als Soldat erlitt er im Krieg eine schwere Verwundung, während seiner Genesung ging sein Fokus auf Schrift und Papier über. Nach dem Krieg studierte er Buchbinderei und Handvergoldung, später Buchgrafik und Buchbinderei. Im Herbst 1955 reiste er nach Paris, um sich der französischen Vergoldetechnik widmen zu können. „Zwei Jahre lebte er im Zentrum der europäischen Buchbindekunst und studierte am berühmten Collège Technique Estienne“, erklärt die Kirchheimer Kunsthistorikerin Barbara Honecker.
Ein halbes Jahr hat sie gemeinsam mit Waltraud Kurz und Regina Niebel, langjährige Vertraute der Künstlerwittwe Maria Kurz, den Nachlass gesichtet. „Gotthilf Kurz hat viel hinterlassen. Die Erfassung war in dieser kurzen Zeit nicht möglich, und dann kam Corona dazwischen. Der Geschichtsverein wird sich um die Digitalisierung und das Verzeichnis kümmern“, sagt Barbara Honecker. Sie freut sich mit Dettingens Bürgermeister Rainer Haußmann, dass Maria Kurz noch miterleben konnte, was mit dem Nachlass ihrer Mannes geschieht. „Sie war extrem zufrieden und wusste das Werk, das beispielhaft für eine Epoche ist, wohlgeordnet in guten Händen gesichert“, sagt Rainer Haußmann.
"Für den Wahldettinger hat die Gemeinde Verantwortung übernommen“
Nach Dettingen kam Gotthilf Kurz dank seiner Heirat mit Maria Geissler. Der Ort wurde nach dem Krieg zu seinem neuen Lebensmittelpunkt, er war 1951 Mitbegründer der Pfadfindergruppe. Im Turmzimmer der St. Georgskirche gestaltete er die Decke und der Kindergarten erhielt die Darstellung der vier Jahreszeiten an der Fassade. „Für den Wahldettinger hat die Gemeinde Verantwortung übernommen – objektiv und differenziert. Das hat sich von allein ergeben, die Qualität spricht für sich“, so Rainer Haußmann. Für ihn und den Gemeinderat stand es deshalb außer Frage, den Nachlass dieses außergewöhnlichen Künstlers in Dettingen zu bewahren und ihn somit zusammenzuhalten. „Wir haben dies unter fachlicher Betrachtung aus Überzeugung getan. Hier in Dettingen hat sich Gotthilf Kurz am wohlsten gefühlt“, ist Rainer Haußmann überzeugt.
Dank seiner ehrenamtlichen Arbeit in der christlichen Jugendarbeit lernte der Künstler den damaligen Landrat Dr. Ernst Schaude kennen. „In ihm fand er einen Mäzen, der ihm die Möglichkeit eröffnete, das Thema der Bibel in immer neuen Variationen zu gestalten“, sagt Barbara Honecker. Gotthilf Kurz erhielt bis in die 80er-Jahre den Auftrag, die Kirchen beider Konfessionen des Altkreises Nürtingen mit neuen, schön gebundenen Altarbibeln oder Messbüchern auszustatten. Goldene Bücher stammen aus seiner Hand, aber auch Werke der Weltliteratur von Homer, Walter von der Vogelweide, Goethe und Schiller. Für den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss gestaltete er ebenfalls mehrere Bucheinbände für dessen Schriften. Inhalt und Buch mussten für Gotthilf Kurz zusammenpassen. „Er hat erst das Buch gelesen und dann den Titel entwickelt. Ein guter Bucheinband entsteht aus dem Dialog zwischen dem bindenden Künstler und dem Autor des Texts. Gotthilf Kurz war der erste, der das für sich entdeckte. Es braucht Zeit, um tief in das Werk einzudringen, und das Vermögen, sich in den Dienst des Worts zu stellen“, sagt Barbara Honecker.
Erst spät, in den 70er-Jahren, begann der Buchkünstler mit der Malerei. Fortan fotografierte er auf seinen Reisen nicht nur, sondern griff zum Bleistift. Außerdem begann er, in der Natur zu malen. Davon können sich die Besucher vor allem in der Verkaufsaustellung überzeugen.
Gestorben ist der Buchkünstler am 28. April 2010 in München. Dort war er lange Zeit als Dozent an der Akademie für das Grafische Gewerbe tätig. Dem brillanten Techniker und Gestalter standen Werkzeug, Material und Räume zur Verfügung. „Neben Stempeln aus Metall entwickelte er ein neues Prägeverfahren und verwendete erstmalig Prägeformen aus Pappe“, erklärt Barbara Honecker. Orientierte er sich zu Beginn seiner Karriere an der floralen Formensprache, wurde er immer freier und wandte sich der Abstraktion zu.