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Bürgerentscheid in Aichelberg: Gräben wieder zuschütten

Abstimmung Nachdem sich 293 Aichelberger für, aber 367 gegen ein interkommunales Gewerbegebiet neben der Autobahn ausgesprochen haben, muss sich die Gemeinde für die Zukunft neu sortieren. Von Werner Schmidt

Es gab keine Häme und keine Jubelschreie, als die Aichelberger Bürgermeisterin Heike Schwarz am Sonntagabend schon knapp 40 Minuten nach Schließung des Wahllokals das Ergebnis des Bürgerentscheids verkündete (wir berichteten). Nur lachende und betrübte Gesichter.

Der Wahlausgang war eindeutig: 293 Aichelberger hatten sich für ein interkommunales Gewerbegebiet an der Autobahn A8 ausgesprochen, 367 dagegen. Eine der insgesamt 661 abgegebenen Stimmen war ungültig. So eindeutig das Wahlergebnis war, so hoch war mit fast 61,4 Prozent auch die Wahlbeteiligung. „Ich hoffe, dass das Wahlergebnis keine weiteren Gräben zieht“, wünschte sich die Bürgermeisterin. Immerhin hatten im Vorfeld des Bürgerentscheids zwei Bürgerinitiativen hart für ihre Überzeugungen, für Pro und Kontra, gefochten. „Es tut mir in der Seele weh. Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht“, kommentierte die Rathauschefin den Wahlausgang in der 1333-Seelen-Gemeinde, von denen 1077 Einwohner ihre Stimme abgeben durften. Gewählt werden durfte vom 16. Lebensjahr an. Für die Bürgermeisterin ist „eine Chance für Aichelberg vertan“. Die Kommune arbeite am finanziellen Limit, der Haushalt liege immer knapp an der Genehmigungsgrenze.

 

„Es tut mir in der Seele weh. Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht.
Heike Schwarz
Bürgermeisterin von Aichelberg
 

Ja, wo sind denn die ganzen Millionen abgeblieben, fragten zwei Einwohner, die zwar ihre Namen nicht nennen wollten, aber gestanden, gegen das Vorhaben gestimmt zu haben. Hauptsächlicher Grund: Sie besitzen im betroffenen Gebiet Ackerland. Und das wollten sie nicht verkaufen, wie zahlreiche andere Grundstückseigentümer auch nicht. Nach Auffassung des Ehepaars hätte es des Bürgerentscheids gar nicht bedurft. Denn schon im Vorfeld sei allen klar gewesen, dass das interkommunale Gewerbegebiet scheitern müsse, da 75 bis 80 Prozent der Grundstückseigentümer überhaupt nicht verkaufen wollten. Zurück zu den „verschwundenen Millionen“. Diese habe die Gemeinde angeblich für den Bau der Bahntrasse Stuttgart-Ulm erhalten. Nun seien sie weg.

Die Kosten waren ein Grund der Gegner, sich gegen das Gewerbegebiet auszusprechen, der andere der „Flächenfraß“.

Für Michael Gölz von der Initiative „Kein Gewerbegebiet Aichelberg“ ist es nun wichtig, die aufgebrochenen Gräben zuzuschütten, meinte er nach Verkündung des Ergebnisses. Einerseits sei er froh, dass die „Grüne Lunge Aichelberg“ erhalten bleibe, denn der Ort sei durch den Lärm und die Abgase von der A8 stark belastet. Durch das Gewerbegebiet wäre die Luft noch schlechter geworden, denn es hätte in der Zugluftschneise gelegen und den Luftaustausch massiv gestört. Jetzt aber müsse man vorwärts denken und handeln. Er bedankte sich ausdrücklich für das faire Verhalten der Bürgermeisterin während der vergangenen Monate: „Ich denke, dass wir die Gestaltung der Gemeinde gemeinsam in die Hand nehmen und miteinander die anstehenden Projekte angehen sollten.“

Gebührenerhöhung droht

Während die siegreichen Gegner des Projekts in kleinen Gruppen im Bürgersaal diskutieren, stand Befürworter Karl Kling abseits und allein. Er sieht durch das Ergebnis Probleme auf die Kommune und die Einwohner zukommen: „Jetzt müssen die Abgaben und Gebühren erhöht werden. Das spürt jeder Bürger“, prophezeite er. Auch er empfindet die Ablehnung als vertane Chance für Aichelberg, denn erstmals wäre es möglich gewesen, im Kommunalverband eine Lösung vorweisen zu können. Denn auf der rund 13 Hektar großen Fläche nördlich der A8 sollten kleinere, regionale Gewerbetreibende aus dem Raum Bad Boll und größere aus der Region angesiedelt werden.

Mit dem Nein zum interkommunalen Gewerbegebiet teilt Aichelberg nun das Schicksal von Uhingen, das mit Ebersbach ein interkommunales Gewerbegebiet erschließen wollte und vor inzwischen gut drei Jahren ebenfalls durch einen Bürgerentscheid damit scheiterte.

 

IHK-Chef Irmgart: „Die Vorteile lagen auf der Hand“

Demokratie Der Bürgerentscheid in Aichelberg ruft bei Verbänden und der Region Stuttgart Bedauern hervor.

Aichelberg. Gernot Imgart, Leitender Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer Göppingen, bedauert den Ausgang des Bürgerentscheids in Aichelberg. „Schade. Für den Kreis Göppingen hatte sich mit dem Projekt in Aichelberg innerhalb der Region Stuttgart an der A8 gelegen perspektivisch eine sehr große Entwicklungschance ergeben“, teilt er auf Anfrage mit. „Wir hatten das von Anbeginn positiv begleitet. Denn die Vorteile einer interkommunalen Zusammenarbeit lagen ja auf der Hand, weil sie Kosten und vor allem wertvolle Flächen spart“, betont Imgart. Nun heiße es, nach vorne zu blicken: „Was können wir tun, damit unser Kreis Göppingen ein Standort für Investitionen in die Zukunft wird, so wie sie beispielsweise die Elektromobilität und der Strukturwandel mit sich bringt?“, stellt Imgart als Frage in den Raum. Der Bedarf an Entwicklungsmöglichkeiten für die Unternehmen sei groß. „Die sicher vernünftige und wichtige Entwicklung von kleinteiligen Brachflächen wird diesen allein nicht decken können“, fügt der Göppinger IHK-Chef hinzu.

Den Blick nach vorne richten
Auch der Verband Region Stuttgart hat sich zum Ausgang des Bürgerentscheides in Aichelberg geäußert. Dr. Alexander Lahl, Regionaldirektor des Verbandes, erklärt: „Wir haben uns zwar ein anderes Ergebnis gewünscht, respektieren jedoch selbstverständlich die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Mit dem Gebiet an der A8 hätten sich sehr gute wirtschaftliche Entwicklungschancen geboten. Der Bedarf der Unternehmen an gewerblichen Flächen ist auf der Gemarkung Aichelberg, aber auch in der gesamten Region weiterhin sehr groß. Jetzt ist es umso wichtiger, den Blick nach vorne zu richten auf die Entwicklung der bereits auf den Weg gebrachten regionalen Gewerbeschwerpunkte in der Region. Ziel bleibt es weiterhin, wichtige Weichen für die nachhaltige Transformation der Wirtschaft zu stellen.“
Thomas S. Bopp, Vorsitzender Verband Region Stuttgart, bedauert den Ausgang des Entscheids ebenfalls: „Das ist leider kein ermutigendes Signal für die Zukunftsfähigkeit der Region Stuttgart. Wir werden aber weiterhin unermüdlich daran arbeiten, die für den Transformationsprozess des Industriestandortes erforderlichen Flächen zu finden und zu schaffen. Nur so können wir unsere Arbeitsplätze und Zukunftsfähigkeit langfristig erhalten. Dies gilt für den Landkreis Göppingen ganz besonders. Und gerade die Gemeinde Aichelberg hat somit keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten für Gewerbeflächen. Leider ist es vor Ort nicht gelungen, die Bürgerinnen und Bürger von der Bedeutung des Vorhabens und von seinen Vorteilen für die Gemeinde zu überzeugen.“
Die Regionalversammlung hatte am 13. Juli 2021 mehrheitlich für die Einleitung eines Regionalplanänderungsverfahrens samt Strategischer Umweltprüfung zur Entwicklung eines „Regionalen Gewerbeschwerpunktes“ auf Gemarkung der Gemeinde Aichelberg gestimmt. Das formale Planänderungsverfahren für die Festlegung eines rund 20 Hektar großen Gebiets, für das ein regionaler Grünzug verkleinert werden müsste, war aber noch nicht gestartet worden, um das Ergebnis des Bürgerentscheids abzuwarten. ws/pm