Neidlingen. Bis Mittwoch 18 Uhr mussten sich die vier Neidlinger Bürgermeisterkandidaten entscheiden: Treten sie bei der Neuwahl am 19. Dezember erneut an? Kurz nach 12 Uhr ging beim Teckboten eine echte Überraschung ein: Robert Böhnel, der Bürgermeister von Mulfingen, tritt beim zweiten Wahlgang nicht erneut an. Der 50-Jährige hatte beim ersten Wahlgang mit 353 Stimmen in Führung gelegen, dicht gefolgt von Jürgen Ebler mit 334 Stimmen. Die weiteren Kandidaten, Maximilian Sigel aus Kirchheim und Peter Geiß aus Hülben, folgten mit deutlichem Abstand mit 111 beziehungsweise 105 Stimmen.
Warum zieht sich ausgerechnet der Spitzenreiter, der beim zweiten Mal sehr gute Chancen gehabt hätte, zurück? Dazu hat Robert Böhnel auf seiner Website eine Erklärung veröffentlicht. Seine 353 Stimmen, das entspricht 38,5 Prozent, sieht er als „ein tolles Ergebnis“. Zugleich bedauert er: „Dennoch hat es für die erforderliche Mehrheit, Neidlinger Bürgermeister zu werden, nicht gereicht.“ Er bedankt sich bei denen, die „mit ihrer Stimme einem erfahrenen Verwaltungsfachmann das Vertrauen ausgesprochen haben“. Er habe „viele tolle Gespräche geführt und tolle Menschen mit Weitblick getroffen. Menschen, die sich um ihre Gemeinde bemühen und über den Tellerrand blicken.“ Robert Böhnel sieht aber auch auf diejenigen, die ihn nicht gewählt haben: „Leider waren es am Sonntag mehr Stimmen, die meine Fachlichkeit und meine Ideen nicht unterstützt haben. Ich bitte aus diesem Grund um Verständnis, wenn ich bei einer Neuwahl nicht mehr antreten werde.“
Nicht jedes Gespräch in Neidlingen war für ihn wohl gleich erfreulich, denn Robert Böhnel schreibt weiter: „Zu meinem Bedauern wurde ich aber auch mit vielen Vorbehalten und Vorurteilen konfrontiert. Diese muss ich so hinnehmen und diese kann ich so hinnehmen.“ Im persönlichen Gespräch wollte er dies nicht näher ausführen: „Hinterher nachzutreten, das ist nicht mein Stil.“ Ein solcher Vorbehalt wurde bei der Nachfrage bei der öffentlichen Kandidatenvorstellung deutlich: Warum Robert Böhnel sich von Mulfingen weg in eine viel kleinere Gemeinde bewerbe? Dessen Antwort war aber sehr gut nachvollziehbar: Er habe vor zwei Jahren seine Partnerin kennengelernt, die in Neidlingen wohne, und wolle die beiden Familien dort zusammenführen.
Dass sich ausgerechnet der Spitzenreiter vor der Neuwahl zurückziehe, sei „sicherlich ungewöhnlich“, sagt ein Sprecher des Gemeindetags Baden-Württemberg auf Anfrage, „aber es ist rechtlich möglich.“
Maximilian Sigel, mit 28 Jahren der jüngste Kandidat, hatte bereits am Sonntagabend erklärt, erneut anzutreten. Als er vom Rückzug des Mitbewerbers erfährt, sagt er: „Für mich ist es mehr als ein Amt und mehr als nur eine Amtszeit. Es ist ein Zeichen, dass hier jemand ist, der Teil von Neidlingen sein möchte und das auch über eine längere Zeit und mit vielen Ideen und Ehrgeiz.“
Auch von Jürgen Ebler aus Hülben kam am Montag zur erneuten Kandidatur ein klares „Ja, mache ich“ und die Ankündigung eines weiterhin engagierten Wahlkampfes. Peter Geiß aus Neidlingen tritt hingegen nicht nochmals an. „Man muss das realistisch sehen“, sagte er dem Teckboten angesichts des großen Abstands bei den Wählerstimmen. Bei einer deutlich geringeren Differenz wäre er nochmals angetreten.
Die einzige weibliche Bewerberin, Nicole Gutenberger aus Grafenberg, hatte sich aus persönlichen Gründen bereits vor dem ersten Wahlgang zurückgezogen. Ihr Name war lediglich deshalb noch auf den Wahlzetteln gelistet, weil diese bereits gedruckt waren. Sie hatte sechs Stimmen erhalten.
Somit kommt es am Sonntag, den 19. Dezember zu einer Stichwahl: Die 1448 Neidlinger Wahlberechtigten haben die Wahl zwischen Jürgen Ebler, bisher Leiter der Polizeidienststelle in Bad Urach, und Maximilian Sigel, bisher in der Qualitätssicherung der Firma Porsche. Peter Dietrich
Wie häufig sind Neuwahlen?
Thomas Schwarz, Leiter des Statistischen Amts der Stadt Stuttgart, hat im Jahr 2018 insgesamt 1088 Bürgermeisterwahlen der Jahre 2010 bis 2017 ausgewertet. Dabei kam es nur in 123 Fällen (elf Prozent) zu einer Neuwahl, bei 89 Prozent der Fälle fiel die Entscheidung bereits im ersten Wahlgang. Der Anteil der Neuwahlen war damit rückläufig: In den Jahren 1990 bis 2009 hatte er noch bei 20 Prozent gelegen. Je mehr Bewerber, desto wahrscheinlicher wird ein zweiter Wahlgang: Bei allen 1088 Wahlen waren im Durchschnitt 2,6 Kandidaten angetreten, bei Wahlen mit Neuwahl waren es beim ersten Wahlgang im Durchschnitt 5,2 Kandidaten. Es gibt noch einen weiteren entscheidenden Faktor: Bei rund drei von vier Neuwahlen (76 Prozent) war der Amtsinhaber nicht erneut angetreten.
In Gemeinden unter 2000 Einwohnern, dazu gehört Neidlingen mit seinen zirka 1800 Einwohnern, kandidierten in den Jahren 2010 bis 2017 im Durchschnitt 2,3 Kandidaten. Neidlingen liegt mit vier Kandidaten, darunter keine „Dauerkandidaten“, deutlich über dem statistischen Durchschnitt. pd