Ein Autohändler würde doch auch nie einen Porsche für acht Euro verkaufen!“, sagt Apotheker Matthias Kühnle. Genauso sei das aber, wenn in einer Apotheke ein teures Medikament über den Verkaufstisch abgegeben wird: Sie bekommt für diesen Vorgang unabhängig vom Produktpreis 8,35 Euro vergütet, das sogenannte „Fixum“. Davon werden zwei Euro direkt an die Krankenkasse abgeführt. Drei Prozent vom Einkaufspreis des Medikaments erhält die Apotheke ebenfalls, was allerdings im Vergleich zu den Gewinnspannen im Handel minimal ist – zumal sie beim Großhändler die Medikamente vorfinanzieren muss.
Erhöht worden sei dieses Honorar schon seit deutlich über zehn Jahren nicht mehr, sagt Kühnle, dramatisch gewachsen seien aber die Kosten und die Bürokratie. Unterm Strich werde es immer schwieriger, mit einer Apotheke über die Runden zu kommen. Der Pharmazeut ist Inhaber der Kirch-Apotheke in Hochdorf wie auch der Apotheken in Notzingen und Schlierbach. Er sprach mit Vertretern des Landesapothekerverbands und der Landesapothekerkammer sowie mit dem Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz von den Grünen über die Problematik. Seit dem „Apothekenstreik“ am 14. Juni habe die Politik zwar kleine Verbesserungen auf den Weg gebracht, aber das Grundproblem der Unterfinanzierung bleibe bestehen.
Kleine Veränderungen bringt das jüngst vom Bundestag beschlossene „Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz“, abgekürzt ALBVVG. Seine Zielrichtung war, Lieferschwierigkeiten entgegenzuwirken. Die betreffen längst nicht mehr nur Fieber- und Hustensäfte für Kinder, sondern ein breites Spektrum an Medikamenten. Aus Sicht der Apotheken ist das deutsche System, bei dem die Pharmaunternehmen Rabattverträge mit den Krankenkassen abschließen müssen, eine Hauptursache dafür. Denn aufgrund der Rabatte lohne es sich für die Firmen häufig nicht mehr, hierzulande bestimmte Präparate zu verkaufen. Sie stellen sie gar nicht mehr her oder setzen aus wirtschaftlichen Gründen auf andere Märkte. So seien teilweise Medikamente, die in Deutschland fehlen, im europäischen Ausland noch verfügbar.
Zudem verursacht das System einen riesigen Aufwand. Für jedes vom Arzt ausgestellte Rezept muss die Apotheke digital abfragen, welches Präparat von welcher Firma abgegeben werden muss. Oft muss dieses dann bestellt werden, obwohl ein Medikament mit den gleichen Wirkstoffen – nur eben vom „falschen“ Hersteller – in der Schublade liegt. Ist es nicht lieferbar, wählt der Apotheker oder die Apothekerin die günstigste Alternative, muss dies aber dokumentieren, begründen und eventuell Rücksprache mit dem Arzt halten. Für solche Ersatzbeschaffungen bekommen die Apotheken seit einiger Zeit 50 Cent vergütet – viel zu wenig, findet Kühnle: „Das ist für mich eine Ohrfeige.“
Andreas Schwarz ließ sich diese Abläufe an der Kasse zeigen: „Wir müssen das komplett auf neue Füße stellen.“ Auf seine Frage, wer sich dieses System ausgedacht habe, bekam er eine klare Antwort: der heutigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, damals im Ministerium von Ulla Schmidt. Apotheken und ihre Filialen seien häufig „nicht wirtschaftlich zu betreiben“, fasste Martin Braun, der Präsident der Landesapothekerkammer, zusammen. Das schlägt sich in sinkenden Apothekenzahlen nieder: Bundesweit haben im vergangenen Jahr 400 Apotheken geschlossen. Häufig fänden Apotheker und Apothekerinnen in Baden-Württemberg keine Nachfolger, berichtete Rouven Steeb vom Landesapothekerverband. Damit bahne sich ein großes Problem an, denn „unsere Inhaber sind zu 30 Prozent über 60 Jahre alt“.
Auch der Fachkräftemangel macht sich in dem Berufsstand besonders bemerkbar, vor allem im ländlichen Raum und im „Speckgürtel“ der Städte. Fehlende Kinderbetreuung und mangelhafte öffentliche Verkehrsverbindungen trügen dazu bei, dass viele Fachkräfte gar nicht oder nur in geringem Umfang arbeiten. Ebenso sei die Anerkennung von Berufsabschlüssen von außerhalb der EU zu kompliziert und zu langwierig. „Ich halte nichts davon, dass wir von anderen Ländern die Apotheker abwerben“, sagte Braun. „Aber wenn qualifizierte Leute schon da sind, beispielsweise Syrer oder Ukrainerinnen, dann müssen sie auch arbeiten können.“
Alle waren sich einig, dass weiterhin ein dichtes Netz an Apotheken gebraucht wird. Gerade für kleinere Gemeinden sei es enorm wichtig, „sowohl einen Hausarzt als auch eine Apotheke vor Ort zu haben“, betonte Hochdorfs Bürgermeister Gerhard Kuttler, der ebenfalls zu dem insgesamt dreistündigen Gespräch stieß. „Das gehört zur Daseinsvorsorge, gerade für die Älteren, die tendenziell mehr Medikamente und auch mehr Beratung brauchen.“ Eine Internet-Apotheke ohne persönliche Betreuung und mit längeren Lieferzeiten sei dafür kein Ersatz.
Die Medikamenten-Front
Rabattverträge In Deutschland gibt es knapp 100 Krankenkassen. Jede von ihnen schließt mit den Pharmafirmen Rabattverträge ab. Daraus ergibt sich, welches Präparat, also von welchem Hersteller, die Apotheke das Medikament für den jeweiligen Patienten oder die jeweilige Patientin bestellen darf. Dieses System gilt seit 2007.
Lieferengpässe Aktuell sind laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland über 400 Arzneimittel aus unterschiedlichsten Therapiebereichen nicht lieferbar. Besonders dramatisch ist derzeit die Situation beim Antibiotikum Penicillin. Aber auch andere Antibiotika, Blutdrucksenker oder Medikamente für die Krebstherapie fehlen. aia