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Beim Fahrrad setzen Kunden rund um die Teck auf Allrounder

Mobilität Der Fahrrad-Boom hält an, trotz der Insolvenz des Herstellers Prophete. Die Lieferengpässe lösen sich auf. Auch beim Fahrrad geht der Trend zum Elektro-Antrieb. Von Peter Dietrich

Wie entwickelt sich die Nachfrage nach Fahrrädern? Stephan Fischer und Andreas Wagner, Geschäftsführer von Radsport Fischer & Wagner in Kirchheim, zögern bei dieser Frage nicht lange: „Die Tendenz ist wei ter  steigend.“ Zwischen Sport und Alltag gebe es dabei keine strenge Trennung, sagt Stephan Fischer: „Die Übergänge sind fließend. Die Leute wollen ein  Rad, das alles kann. Sportiv und trotzdem alltagstauglich.“

 

Fast die ganze Welt ist von zwei Herstellern, von SRAM und Shimano, abhängig.
Andras Wagner
Geschäftsführer von
Radsport Fischer & Wagner

 

Durch hohe Nachfrage, Lockdowns und Co. hatte es während Corona erh ebliche Lieferengpässe gegeben. „Die Lieferbarkeit hat sich verbessert, der Peak der Nichtverfügbarkeit ist überschritten“, atmet Stephan Fischer nun auf. Nur bei hochwertigen Rennradkomponenten sei die Lage noch schwierig. Ein Problem ist die Herstellerkonzentration bei wichtigen Komponenten: „Fast die ganze Welt ist von zwei Herstellern, von SRAM und Shimano, abhängig“, sagt Andreas Wagner.

Dass sich jemand sein Traumrad aus selbst gewählten Komponenten zusammenstellt, ist heute  selten: Beim E-Bike wäre es schon aus Zulassungsgründen kaum möglich, und es gibt Kompletträder für jeden Geschmack und Geldbeutel im Angebot – bis hinauf zu 15.000 Euro. Wer ein solides E-Bike will, sollte mit etwa 4.000 Euro rechnen, sagen die beiden Experten. Die Akkupreise seien ziemlich stabil, die weltweite Nachfrage nach Speicherzellen, die ja auch in Autos verbaut werden, für erhoffte Preissenkungen zu groß.

Beide wünschen sich von der Politik nicht nur Lippenbekenntnisse pro Rad, sondern eine tatsächlich verbesserte Infrastruktur. In vielen Bereichen sei das Auto nicht wegzudenken, sagt Stephan Fischer, in anderen Fällen aber unsinnig. „Da will eine Person elektrisch Auto fahren und transportiert deshalb zweieinhalb Tonnen. Beim E-Bike sind es 25 Kilogramm.“

Die Insolvenz des Fahrradherstellers Prophete vergleicht er mit dem Ende von Nokia: „Das lag damals auch nicht daran, dass keiner mehr Handys kaufen wollte.“ Durch Fehlentscheidungen und das Verschlafen von Trends könne eine Firma auch in einem wachsenden Markt auf der Strecke bleiben. Ein aktueller Trend bei Fahrrädern sei die elektronische Schaltung: Zwischen Bedienelement und Schaltwerk gebe es keine Kabel mehr, sondern Funk. "Es wird immer mehr vernetzt, etwa mit Smartphone, Routenplanung und Tagebuch“, sagt Andreas Wagner. Bei den E-Bikes werden die Antriebe kleiner und  leichter und immer besser in den Rahmen integrriert. Im Trend liegt das elektrische Cargobike, mit dem sich Kinder und Lasten transportieren lassen. „Es ist vor allem bei Frauen beliebt“, sagt Stephan Fischer. „Anhänger sind out.“

Wenn Fahrräder nicht nur im Keller stehen, sondern gefahren werden, brauchen sie mehr Service und Wartung. Hinzu kommt, dass der Radler beim E-Bike vieles nicht selbst machen kann, etwa ein Update. „Wir haben eine gut aufgestellte Werkstatt, die den wachsenden Kundenstamm bedienen kann“, versprechen beide. Personalsorgen haben sie keine. Eine andere schon: die Engpässe durch die Saisonradler, von denen pünktlich zur ersten Frühlingssonne sehr viele gleichzeitig kommen. „Das zu entzerren, versuchen wir seit 34 Jahren“, sagen beide. Es gab schon Rabattaktionen, um Kunden in ruhigere Zeiten zu locken, doch der Erfolg war überschaubar. Das sei eben wie bei den Winterreifen beim ersten Schnee.

 

In den Radgeschäften rund um die Teck herrscht derzeit Hochbetrieb. Bei Radsport Fischer & Wagner in Kirchheim legt Zweiradmechaniker-Meister Philipp Daum Hand an ein Liegerad.  Foto: Peter Dietrich

Mit Personal und Platz gegen den Andrang

Weilheim. Als die Radgeschäfte zwischen den Corona-Lockdowns mal wieder geöffnet hatten, war der Andrang gewaltig. Manche Händler verkauften 60 bis 70 Prozent mehr als sonst. „Das möchte ich nie wieder“, sagt Markus Heilenmann, Geschäftsführer von Zweirad Heilenmann in Weilheim. „Das kann auf Dauer nicht gesund sein.“ Er beraten und Service bieten. Deshalb hat er seine Werkstattkapazität in den vergangenen Wochen erweitert. Doch nicht nur die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat zugenommen: Die Werkstattfläche ist auf über 400 Quadratmeter angewachsen. Nötig ist auch viel Lagerplatz. „Es kann sein, dass ein repariertes Rad eine ganze Woche bei uns steht.“,

Der Trend zum E-Bike sei ungebrochen, sagt Markus Heilenmann. Eine Ausnahme bildeten die Sportradler, die Pässe oder Albaufstiege bewältigen und sich mal richtig auspowern wollen. Welche Radler auch bei sogenanntem schlechten Wetter fahren, davon hat Markus Heilenmann ein klares Bild. „Da machen die, die es gewohnt sind, immer rauszugehen. Oder aber diejenigen, die das Rad neu entdecken und zu richtigen Fahrradfreaks werden.“

Derzeit seien die Lager der Händler voll, sagt Markus Heilenmann. „Wir bekommen die Ware, die wir eigentlich 2022 hätten bekommen sollen.“ Für den Kunden sei das kein Nachteil, denn die Räder der Saison 2022 bis 2024 seien technisch weitgehend baugleich. „Aber ein Modell von 2022 ist oft noch 150 bis 200 Euro günstiger.“ Allerdings seien oft nicht alle Rahmenhöhen zu bekommen, und im Lauf des Jahres seien Engpässe zu befürchten. Sein Tipp: Wer ein Rad gefunden habe, das ihm gefalle, aber eine andere Größe brauche oder Farbe wolle, solle bei seinem Händler vorbestellen.

Den Trend zu immer mehr Elektronik und zur Vernetzung bestätigt auch Markus Heilenmann. Beim E-Bike gebe es einen Trend zu automatischen Schaltungen – in die der Nutzer aber weiterhin eingreifen könne. Neu im Angebot seien leichte E-Bikes mit weniger Leistung und etwas kleinerem Akku. Dafür kamen sie mit 14 bis 18 Kilogramm Gewicht aus und seien näher am „analogen“ Fahrrad dran. „Ich muss ja nicht Tempo 25 den Berg hochfahren, Tempo 15 reicht auch.“

Dann berichtet er von einem hochinteressanten Prototyp. Es ist ein E-Bike-Motor mit integriertem Schaltgetriebe. Es gäbe dann vorne und hinten nur noch je ein Ritzel, es könnten wieder breitere Ketten verwendet werden, was den erheblichen Verschleiß an Ketten und Ritzeln senken würde. Wenn das so gut wie die legendäre Rohloff-Getriebenabe, könnte das die Zukunft sein. Peter Dietrich