Spart man bei der Feuerwehr, wenn es gerade brennt? So ähnlich betrachten Vertreter der Jugendhilfe in der Bruderhaus-Diakonie die Pläne des Bundesjugendministeriums, den Jugendmigrationsdiensten die Gelder zu kürzen. Besonders hart trifft es das seit 2018 bestehende Programm „Respekt Coaches“. Die bisherige Förderung soll nach dem Haushaltsentwurf der Regierung im kommenden Jahr auf null gestrichen werden.
„Das ist eine gravierende Fehlentscheidung“, findet die Sozialpädagogin Ingrid Gunzenhauser, die bei der Bruderhaus-Diakonie im Kreis Esslingen als Fachbereichsleiterin seit 20 Jahren ein breites Angebot für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte verantwortet.
Hier sammeln sich mehrere Jahrzehnte Berufserfahrung mit jungen Migranten. Für die Sozialpädagoginnen Ingrid Gunzenhauser, Ivana Serka und Amina Ramadan ist völlig unverständlich, warum die Gelder gerade jetzt gestrichen werden. Seit Jahren sei die Finanzierung immer nur projektbezogen und es bindet viele Kapazitäten, quasi ständig nach einer Anschlussfinanzierung zu schauen. Eine sichere Finanzierung wäre auch Anerkennung dafür, dass die Arbeit wichtig ist.
Niederschwellige Angebote
Die „Respekt Coaches“ der Bruderhaus-Diakonie arbeiten als pädagogische Fachkräfte an verschiedenen Standorten in den Landkreisen Reutlingen und Esslingen an Schulen, um junge Menschen vor Extremismus in all seinen Erscheinungsformen, vor Rassismus sowie gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu schützen – so die Definition des Bundesjugendministeriums.
In Nürtingen hat die Bruderhaus-Diakonie eine Kooperation mit dem privat geführten Schulwerk Mitte. Die „Respekt Coaches“ machen ein niederschwelliges Angebot, um das immer wieder komplizierte Gefüge der Klassen zu stabilisieren. Gerade in den Vorbereitungsklassen, erste Station junger Zuwanderer im deutschen Schulsystem, herrscht ein Kommen und Gehen, Menschen mit völlig unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Wissensstand treffen aufeinander und machen die Arbeit der Lehrkräfte zu einer Herausforderung.
Am Schulwerk Mitte sind die meisten Schüler älter als 16, es gibt dort von den Vorbereitungsklassen mit Deutsch als Zweitsprache bis hin zum beruflichen Gymnasium alle möglichen Schularten. Mit dem Schulwerk Mitte arbeitet der Jugendmigrationsdienst bereits seit zehn Jahren zusammen. Im vergangenen Schuljahr kam noch die Mörikeschule in Nürtingen als Kooperationspartner dazu. Auch hier gibt es Vorbereitungsklassen und Sprachförderklassen. „Deutschland hat kein System, wie man Kinder von Zuwanderern in die Schulen integriert. Da ist das Einwanderungsland nicht zu Ende gedacht“, sagt Ivana Serka.
Banden wirken attraktiv
„Sie alle bringen ihr Paket mit. Zu den Umstellungen der Pubertät kommen noch viele andere Sorgen“, sagt Amina Ramadan. Nicht alle sind Geflüchtete. Manche werden von ihren Eltern mitgebracht, die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus anderen EU-Ländern kommen. „Es stellt immer einen Bruch in der Biografie dar, wenn sie bei der Sprache und den sozialen Beziehungen praktisch bei null anfangen müssen.“ Die Schulen sind auf Unterstützung angewiesen, wenn es darum geht, dass die Jugendlichen sich ein neues soziales Gefüge aufbauen und in den hiesigen Strukturen ankommen. Die Sozialpädagoginnen sind gut vernetzt mit den örtlichen Vereinen und können gut Brücken schlagen. „Man muss die Jugendlichen an der Hand nehmen, sonst gehen sie verloren.“ Die Folgen seien jetzt schon zu sehen in Form von Bandenbildungen im Landkreis. Diese handeln mit Drogen und rivalisieren gewalttätig mit anderen Banden. Wichtig sei, die Mitläufer, die diesen Lebensstil cool finden, vor dem Abgleiten zu bewahren, sagt Ivana Serka.
Kapazitätsgrenze erreicht
Dazu werden Menschen gebraucht, die eine vertrauensvolle Bindung aufbauen können, um die jungen Leute auf einen guten Weg zu bringen, sagt Ingrid Gunzenhauser. „Wir wollen natürlich, dass die Jugendlichen erst gar nicht straffällig werden.“ Im Idealfall finden sie eine erfüllende berufliche Aufgabe. Dabei arbeitet der Jugendmigrationsdienst mit verschiedenen Instrumenten. Das können Gesprächskreise sein, in denen alles Raum findet, was die Jugendlichen bewegt, kreative Aktionen, in denen Neigungen und Stärken ausgelotet werden oder politische Bildung, um Deutschland besser begreiflich zu machen. Und natürlich die Weitervermittlung an andere Stellen wie die Psychosozialen Beratungsstellen, wo sie Traumata aufarbeiten können. Manchmal braucht es enge Begleitung, um jemandem den Weg zu einer Ausbildung zu ermöglichen. Während viele Einheimische sich voll auf die Lehre konzentrieren können, weil sie noch bei den Eltern leben, müssen sich die jungen Geflüchteten um alles selbst kümmern.
Insgesamt vier Stellen für „Respekt Coaches“ gibt es in den beiden Landkreisen. Die Sozialpädagoginnen wissen, dass ihnen die Arbeit nicht ausgeht, wenn die Stellen wegfallen, doch die Rückmeldung der Kooperationspartner hat ihnen immer signalisiert, wie wichtig und hilfreich die Coaches im Schulgefüge seien. Sie sollten deshalb in das Regelangebot der Jugendmigrationsdienste übernommen und unbefristet mit mehr Mitteln ausgestattet werden.
Suchtverhalten und Gewalt
„Die Erfahrungen zeigen, dass eine erfolgreiche Integration der jungen Menschen in unser Gesellschaftssystem professionell begleitet werden muss“, sagt Gunzenhauser. Diese Investitionen in Bildung und Unterstützungsstrukturen zahlen sich volkswirtschaftlich langfristig aus, sind sie sich einig. Jedoch sollen die Jugendmigrationsdienste im kommenden Jahr zehn Millionen Euro weniger erhalten. „Noch nie waren auf der einen Seite die Zuzugszahlen, Fallzahlen und Bedarfe so hoch wie derzeit und auf der anderen Seite zugleich die angedrohten Einschnitte so massiv“, sagt Gunzenhauser.
Mehr Zuwanderer, weniger Geld
„Wegen der Kürzungen können wir diese niederschwellige präventive Arbeit nicht mehr machen“, sagt Amina Ramadan. Wenn die jungen Zuwanderer sich ausgegrenzt und unverstanden fühlen, könnten die Folgen Suchtverhalten und Gewalt sein – mit wesentlich höheren Kosten für die Gesellschaft. Den Mitarbeiterinnen der Bruderhaus-Diakonie leuchtet die politische Begründung des Sparzwangs deshalb überhaupt nicht ein. „Der Rückbau von Versorgungsstrukturen negiert die politische Verantwortung für die Zukunftsperspektiven junger Geflüchteter“, kritisiert Ivana Serka.
Nicht nur beim Jugendmigrationsdienst, der sich um junge Leute bis 27 Jahre kümmert, fehlen die Kapazitäten, auch sonst mangelt es an geeigneten Unterkünften für unbegleitete Minderjährige und Betreuung für alle. „Wir sind im Landkreis an der Kapazitätsgrenze bei den Sozialarbeitern und auch Lehrkräften“, sagt Ingrid Gunzenhauser. So warten junge Leute teilweise ein Dreivierteljahr auf einen Schulplatz, die Vorbereitungs-Klassen sind randvoll. „Wir haben keine Fachleute, und wo es welche gibt, wird auch noch das Geld gestrichen.“