Pilgern ist in: Allerorten trifft man auf das Symbol mit der Muschel, jeder hat Bekannte, die schon mal nach Santiago de Compostela gepilgert sind. Was steckt dahinter?
Die einen pilgern nach Jerusalem, um Jesus zu suchen. Die Anderen pilgern nach Rom, um den Papst zu treffen. Und Jakobswegpilger pilgern nach Santiago de Compostela, um den heiligen Ort von Jakobus zu besuchen.
Weswegen machen sich Menschen heute als Pilger auf?
Wer sich heute auf den Pilgerweg begibt, ist oft auf der Suche nach Entschleunigung, Einfachheit und Selbstbestimmung. Auf dem historischen Pfad des Jakobus und in der freien Natur findet man als Pilger zurück zum Wesentlichen. Sich zu Fuß fortsetzten und von der Muschel leiten lassen, ist für mich ein wichtiger Aspekt der Pilgerreise.
Handelt es sich um eine Mode-Erscheinung – schließlich ist das Pilgern auch im Mittelalter schon mal in Vergessenheit geraten?
Pilgern ist für mich ein langfristiger Trend und keine Modeerscheinung. Pilger kommen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und es sind mittlerweile fast so viele Frauen wie Männer. Wie ich den sozialen Netzwerken entnehme, werden die Pilger immer jünger. Sehr oft nehme ich wahr, dass es Menschen sind zwischen 30 und 40 Jahren, die sich auf den Weg nach Santiago de Compostela machen. Einige der Pilger wünschen sich sogar einen Ausstieg auf Zeit und Distanz zum Alltag.
Sind Wandern und Pilgern eigentlich zwei verschiedene Paar Stiefel? Worin bestehen die entscheidenden Unterschiede?
Pilgern ist die etwas andere Art des Wanderns. Pilger wandern zwar auch, aber nicht nur. Pilger suchen auf der Pilgerreise heilige Orte auf. Was die Art der Fortbewegung angeht, besteht jedoch kein großer Unterschied zu den vielen Wandertouristen, die zwischen deutschen Mittelgebirgen und den Alpenpässen unterwegs sind.
Sind die Pilger eine verschworene Gemeinschaft oder eher Einzelgänger?
Pilger sind für mich überwiegend Einzelgänger, die auf ihrem Weg alles hinter sich lassen, um wieder zu sich zu finden. In den Unterkünften ist man dann aber doch eine verschworene Gemeinschaft.
Auch Sie selbst sind begeisterter Pilger. Was war Ihre bislang schönste Erfahrung?
Das war, als mir ein älterer Herr in Rottenburg am Neckar aus seinem Garten spontan zwei Tomaten geschenkt hat. Dann das Treffen einer sechsköpfigen Pilgerfamilie aus Wüstenrot, die ich in Plochingen getroffen habe. Nicht zu vergessen das Treffen mit Sabine und Rolf aus Hamburg, die den Jakobsweg von Plochingen nach Wurmlingen gepilgert sind.
Und Ihre aktuellen Pilger-Pläne?
Mein Zukunftsplan ist der Jakobsweg von Porto in Portugal an die heilige Stätte des Jakobus in Santiago de Compostela. Den Weg werde ich aber erst gehen, wenn sich die Coronalage entspannt hat. Bis dahin bepilgere ich sicher die eine oder andere Etappe des Jakobswegs ab Rottenburg am Neckar.
Was macht ein Wege-Pate?
Wegepate kann eigentlich jeder werden, der dazu bereit ist sich um die Jakobswege zu kümmern. Kümmern heißt: Schauen, dass die Wegezeichen in Ordnung und gut sichtbar sind. Wer Interesse hat Wegpate zu werden, kann sich gerne an mich wenden und ich werde dann den entsprechenden Kontakt herstellen.
Zur Person: Der Foto- und Videojournalist Rainer Hauendschild ist 53 Jahre jung, verheiratet und hat zwei Söhne. Seit sechs Jahren befasst er sich mit dem Thema Wanderjournalismus und den Wanderwegen in der Region. Seit 2020 betreut er als Wege-Pate den Jakobsweg von Plochingen nach Bodelshofen.
Pilgern heute: „Ich bin dann mal weg“ liegt im
Heiligen Jahr besonders im Trend
Pilgern beschreibt laut „korbi.wiki“, der Bildungsplattform in der Erzdiözese München und Freising, eine zumeist religös motivierte Reise zu einem als heilig geltenden Ort. Die Pilgerreise gibt es in allen Weltreligionen. Einen Boom erlebte das Pilgern im Mittelalter. Ein Christ pilgerte vorzugsweise zu einem der drei bedeutenden Fernpilgerziele: Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela. Martin Luther hielt das Pilgern für „Narrenwerk“, und in der Reformationszeit nimmt das Pilgern tatsächlich stark ab. Heute ist es wieder „in“.
„Ich bin dann mal weg“ lautete der Titel des Bestsellers von Hape Kerkeling, in dem der Komiker seine 600 km lange Fußreise im Jahr 2001 nach Santiago de Compostela beschreibt. Mit Erscheinen des Buches 2006 schnellten die Zahlen der Pilger, vor allem der deutschen, auf dem klassischen Jakobsweg in die Höhe. Hinter dem neuen Trend steckt ein übergreifendes Phänomen, spirituell und ökumenisch, aber auch geprägt durch Freundschafen, Verständnis, Sinnsuche und dem Erleben von Natur, und Kultur.
Das Heilige Jahr findet in Santiago de Compostela statt, wenn der Tag des Heiligen Jakobus auf einen Sonntag fällt, wie dies vor einer Woche der Fall war. Wegen der Corona-Pandemie hat der Papst das Heilige Jahr bis 2022 verlängert. Traditionell gehen in diesen Jahren noch mehr Menschen als sonst auf Pilgerreise. Jakobus war einer der ersten Jünger Jesu und wurde 43 nach Christus hingerichtet. Er wird mit Muschel und Pilgerstab dargestellt. Ob seine Gebeine tatsächlich in Santiago de Compostela beigesetzt wurden, ist unklar.
„Der Jakobsweg beginnt vor Deiner Haustür“ sagt ein Pilgersprichwort. Tatsächlich gibt es in ganz Europa Jakobswege, schließlich sind die Pilger früher wirklich von zuhause losgelaufen. Durch den Kreis Esslingen führen von Rothenburg an der Tauber bis Rottenburg am Neckar zwei verschiedene Jakobswege, eine weitere Variante beginnt in Neresheim und führt ebenfalls nach Rottenburg.
Alle drei Routen stellt Wegepate Rainer Hauenschild in den nächsten Wochen im Teckboten zum Nachwandern vor.ist