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Bekommt Nürtingen eine Dipper-Straße?

Ehrung Die Nürtinger CDU will das Wirken des früheren Dekans Theodor Dipper und seiner Frau Hildegard würdigen. Beide hatten jüdische Mitmenschen in der NS-Zeit vor dem sicheren Tod bewahrt. Von Kai Müller

Es ist wohl der perfekte Zeitpunkt, ein Ehepaar in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, das unter Einsatz seines Lebens in der NS-Zeit half, Juden vor dem Konzentrationslager und damit vor dem sicheren Tod zu bewahren. Die Rede ist vom früheren Nürtinger Dekan Theodor Dipper und seiner Frau Hildegard. Sie bauten die sogenannte „Württembergische Pfarrhauskette“ auf. Auch Pfarrer Eugen Stöffler aus Köngen beteiligte sich beispielsweise daran. In der September-Sitzung des Gemeinderats hatte Matthias Hiller für die CDU-Fraktion beantragt, ein Zeichen „gegen den aufkommenden Antisemitismus“ zu setzen und daher eine Straße in Nürtingen nach Theodor und Hildegard Dipper zu benennen. Zugleich schlug die CDU vor, eine Hinweistafel vor der Stadtkirche anzubringen, eine Veranstaltung zu initiieren und einen heimatgeschichtlichen Beitrag zu veröffentlichen.

 

Theodor Dipper ist über jeden Zweifel erhaben und verdient eine öffentliche Ehrung in Nürtingen.
Markus Lautenschlager, Nürtinger Stadtkirchenpfarrer

 

Mittlerweile hat sich auch Stadtkirchenpfarrer Markus Lautenschlager zu dem CDU-Vorstoß geäußert und sehr deutliche Worte gefunden: „Theodor Dipper ist über jeden Zweifel erhaben und verdient eine öffentliche Ehrung in Nürtingen.“ Er bedanke sich für die Initiative. Wo der beste Ort für eine Gedenktafel sei, könne man gern gemeinsam erwägen. Lautenschlager und die Dekanin Christiane Kohler-Weiß haben aber noch zwei Bitten: Zum einen, dass die Würdigung nicht nur Theodor, sondern auch seine Frau Hildegard erfahre, die ein ebenso großes Risiko eingegangen sei. Zudem solle man die Zustimmung der Nachfahren einholen.

Matthias Hiller kann mit diesen Forderungen sehr gut leben. Er hat mittlerweile mit einem Angehörigen Kontakt aufgenommen: „Er war sehr interessiert und hatte nichts dagegen.“ Der CDU-Stadtrat hat sich im Online-Antiquariat Theodor Dippers Beitrag zum Thema „Die evangelische Bekenntnisgemeinschaft in Würt­temberg 1933 bis 1945“ besorgt, den dieser 1966 veröffentlicht hat. Ein Werk, das ihm sicherlich zu dieser Zeit wenig Freunde beschert haben dürfte, ging er doch darin mit manchem NS-Pfarrer hart ins Gericht und vergaß auch die Exzesse gegen den Lenninger Pfarrer Julius von Jan nicht zu erwähnen, der die gezielt herbeigeführten Auswüchse der Reichspogromnacht am 9. November 1938 in seiner Predigt scharf gegeißelt hatte und dafür von einem Mob fast zu Tode geprügelt wurde. Von Jan saß für seine Rede auch 16 Monate im Gefängnis, während die Kirchenoberen damals geschwiegen hatten, wie Dipper in seiner Schrift vermerkt hat. Auch nach dem Krieg sei dem Oberlenninger Pfarrer keine Gerechtigkeit widerfahren: „Nicht ein einziger der damals unmittelbar Beteiligten hat sich je bei Pfarrer von Jan entschul­digt“, stellt Dipper ernüchtert fest.

Durch das Wirken von Theodor und Hildegard Dipper sowie ihren Mitstreitern – rund 40 Pfarrhäuser machten mit – wurden nachweislich 13 Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt.

Mit Redeverbot belegt und kurze Zeit in KZ-Haft

Dipper war von 1938 an Pfarrer in Reichenbach an der Fils. Von dort aus organisierten er und seine Frau die Pfarrhauskette. Ein Engagement, das in Reichenbach nicht vergessen wurde: Der Platz vor der Mauritiuskirche wurde 2003 in Theodor-Dipper-Platz umbenannt. Dipper war im Dezember 1937 von den Nazis auch mit einem Redeverbot belegt worden, für kurze Zeit war er auch in KZ-Haft in Welzheim.

Dass Dipper und seine Frau wirklich besondere Menschen waren, zeigt die Auszeichnung, die ihnen posthum überreicht wurde. Der Staat Israel ehrte im Jahr 2010 das Ehepaar als „Gerechte unter den Völkern“.