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Besuch aus Fernost für Bissinger Streuobstwiesen

Bildung Rund 40 Studierende aus Japan lernen auf Einladung der Hochschule Rottenburg die Kulturlandschaft Baden-Württembergs kennen: Dazu gehört auch ein Besuch auf Bissingens Streuobstwiesen. Von Katharina Daiss

Hikaru Mori studiert Forstwirtschaft. Gemeinsam mit knapp 40 Studierenden und Professoren aus Japan ist die junge Frau nach Deutschland gekommen, um die alten Kulturlandschaften Baden-Württembergs kennenzulernen. Eine Woche lang wird die Gruppe den Schwarzwald und die Schwäbische Alb erkunden. Organisiert hat diese „Summer School“ die Hochschule Rottenburg. Bereits seit zehn Jahren führt die Hochschule für Forstwirtschaft das Event mit vier Partnerhochschulen in Japan durch.

 

Werden die Bäume nicht gepflegt, stirbt die Landschaft aus.
Rudolf Thaler
Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Bissingen

 

Ein wichtiger Punkt auf dem Programm der Gruppe ist der Besuch der Streuobstwiesen Bissingens. Rudolf Thaler, Vorsitzender des örtlichen Obst- und Gartenbauvereins, ist Experte auf diesem Gebiet. „Wenn man nicht zusammenarbeitet, dann kann auch nichts herauskommen“, sagt Thaler.

Dem kann Christoph End von der Forsthochschule Rottenburg nur zustimmen. Er hofft, dass die Studierenden nicht nur die Unterschiede kennenlernen, sondern auch Gemeinsamkeiten bemerken. Statt Streuobstwiesen bestehen die Kulturlandschaften Japans häufig aus Reisfeldern und Niederwäldern, doch End weist trotz der unterschiedlichen Bewirtschaftung auf überraschende Parallelen hin. So sei auch in Japan die ländliche Bevölkerung überaltert. Die Folge: Die traditionellen Kulturlandschaften werden oftmals aufgegeben, die Reisfelder und Niederwälder verschwinden.

Das bestätigt auch Hikaru Mori. Die japanische Forststudentin ist nicht unweit von Kyoto aufgewachsen. Sie berichtet, dass es in ihrem Heimatort steile Gebirge gibt, während sie die Landschaft Bissingens eher als Plateau beschreibt. Doch auch sie hat die Erfahrung gemacht, dass Flächen aufgegeben werden und wieder bewalden. „Dort gibt es aber keine speziellen Subventionen zum Erhalt der Kulturlandschaften“, sagt sie. Allerdings hat sich in Japan in jüngster Zeit einiges bewegt: Der Staat verteile nun Gelder an die Gemeinden, die diese für Naturschutzmaßnahmen einsetzen können. Allerdings, so Mori, sei diese Entwicklung noch so jung, dass die Gemeinden oft nicht wüssten, wie sie die Finanzspritze einsetzen können.

Christoph End setzt auf den Austausch mit den japanischen Studierenden. Er hofft, dass so Lösungsansätze für die geteilten Probleme entwickelt und geteilt werden können. Schon vor einem Jahr hatte die Hochschule Rottenburg mit diesem internationalen Publikum ein Online-Seminar zu diesem Thema abgehalten. Nun können die Gäste mit eigenen Augen die theoretischen Ausführungen in der Realität begutachten.

 

Pflege für ein hohes Alter

Rudolf Thaler ist schnell bei diesen Problemen angelangt. „Ein Apfelbaum kann 80 Jahre alt werden, ein Birnbaum 100 Jahre – dazu müssen sie aber gepflegt werden.“ Neben der Pflege der alten Bäume ist es nicht minder wichtig, neue Bäume zu pflanzen. Doch die jüngere Bevölkerung interessiere sich nicht mehr allzu sehr für diese Leidenschaft. Schon jetzt entdeckt Thaler zahlreiche Lücken dort, wo alte Bäume nicht mehr stehen und keine jungen Bäume gepflanzt wurden. „Werden die Bäume nicht gepflegt, stirbt die Landschaft aus“, prognostiziert er.

Weniger düster zeichnet hingegen Bissingens Bürgermeister Marcel Musolf die Zukunft der Streuobstwiesen: Musolf berichtet, dass Streuobstzählungen ergeben haben, dass der Bestand entgegen des landesweiten Trends in Bissingen eher zunimmt. „Jeder neue Baum ist wertvoll“, betont der Bürgermeister. Musolf setzt auch darauf, dass das Interesse der jungen Generation an den Streuobstwiesen noch aufblühen könnte. Er erinnert daran, wie es die Menschen während der Pandemie in die Natur zog und welchen Wert Wiesen und Stückle in dieser Zeit wieder hatten.

Dabei sind die Streuobstwiesen mehr als Leidenschaft: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als Thaler noch ein Kind war, waren die Wiesen eine echte Lebensversicherung. „Die Früchte wurden voll verwertet“, erinnert er sich. Heute sieht er mit Blick auf den Klimawandel eine wachsende Bedeutung dieser Landschaften. Zum einen speichern die Wiesen das Wasser der zunehmenden starken Regenfälle. Zum anderen bremsen die Bäume die starken Fallwinde ab, die hinter dem „Bollwerk Teck“ hinunterpfeifen. Krankheiten bedrohen Bäume

Dass die kultivierte Natur nicht alles überleben kann, zeigt die Vergangenheit: Bis vor 130 Jahren waren die Wiesen, auf denen heute Obstbäume wachsen, Weinberge. Dann jedoch wurde die Reblaus aus den USA eingeschleppt. Sie zerstörte die Weinstöcke. Seitdem wird diese Fläche nicht mehr mit Wein angebaut, sondern mit Obstbäumen.

Auch diese sind heutzutage von Krankheiten bedroht. So zeigt sich Birnenverfall auf Bissingens Streuobstwiesen. Zu erkennen ist die Krankheit an dem rötlichen Laub, das sich bereits im Juli zeigt. Ein weiteres Problem sind die Misteln. Die von der Schmarotzerpflanze befallenen Bäume gehen ohne Gegenwehr zugrunde. Ein bis zwei Jahre nach dem Wirt stirbt dann ebenfalls die Mistel. Eine große Linde ist so schlimm befallen, dass sie selbst im Winter grün erscheint. Doch Bissingen bleibt nicht tatenlos: Anfang Dezember werden die Bäume so gut wie möglich von den Misteln befreit. „Eine große Aktion“, verspricht Thaler.

Und so gelingt es ihm, seinem Publikum aus Japan nicht nur die Probleme und Nöte rund um die Streuobstwiesen vor Ort zu zeigen, sondern auch die Liebe und Leidenschaft für die Kulturpflanzen.