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Besuch in der Wendlinger Schaltzentrale der Stromnetze

Energie In der sogenannten Hauptschaltleitung des Stuttgarter Stromnetzbetreibers in Wendlingen wird rund um die Uhr geschaut, dass das Netz stabil bleibt. Diese Aufgabe wird zunehmend schwieriger. Von Philip Sandrock

Die Hauptschaltleitung in Wendlingen ist rund um die Uhr besetzt.  Fotos: pr/TransnetBW/Heiko Simayer

Die Leinwand in der Warte der Hauptschaltleitung hat Kinoformat: 65 Quadratmeter ist die hochauflösende Videowand groß. Auch wenn in der Schaltzentrale der TransnetBW keine Hollywood-Blockbuster laufen, herrscht auf dem Bildschirm rund um die Uhr Hochspannung. Im wahrsten Sinne des Wortes: Denn die Zahlen und technischen Nenngrößen, die die Expertinnen und Experten in der Warte stets im Blick behalten, garantieren die Stabilität der Stromnetze im Land.

Der Stuttgarter Netzbetreiber hat seine Schaltzentrale in Wendlingen vor sieben Jahren in Betrieb genommen. Rund um die Uhr steuern und überwachen die TransnetBW-Ingenieure das baden-württembergische Netz. Längst ist die Stromversorgung europaweit vernetzt, und alle müssen zusammen dafür sorgen, dass sie stabil bleibt. Allein die TransnetBW hat in seinem über 3200 Kilometer langen Übertragungsnetz 26 Übergabepunkte – in die Netze der europäischen Nachbarn oder zu den anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern. 

Es sei tageszeit- und witterungsabhängig, sagt Jens Langbecker, Leiter Systembetrieb beim Stuttgarter Unternehmen. Gesteuert wird es von den Mitarbeitern im Schichtdienst, und jeder Menge Rechenleistung. Denn zum Neubau am Wendlinger Stadtrand gehören zwei unabhängige Rechenzentren. Hinzu kommen landesweit 50 Umspannwerke und 80 Trafostationen, von denen aus der Strom in die Verteilnetze der lokalen Anbieter eingespeist wird. Dieses komplexe Zusammenspiel ist auf der Riesenleinwand zu sehen. Wie die Kurve eines Seismografen verläuft die Netzfrequenz. 50 Hertz sollte der Wechselstrom im europäischen Netz im Idealfall haben.

 

Erzeugung und Verbrauch

Deshalb gehören neben der Netzführung auch zwei weitere wichtige Aspekte dazu: Die Betriebsplanung kümmert sich darum, dass der Netzbetrieb sicher ge­plant werden kann. Fällt eine Leitung, beispielsweise wegen Wartung oder Reparatur aus, wird umdisponiert. Außerdem ist Vorgabe, dass das Netz auch bei dem unerwarteten Ausfall einer Anlage oder Leitung weiter stabil betrieben werden kann. Immer wichtiger wird die Rolle der „Systembilanz“ in der Hauptschaltleitung. Sie muss jederzeit das Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch sicherstellen.

Und hier stehen die Netzbetreiber vor immer größeren Herausforderungen: Denn am Markt gekauft wird in der Regel vom billigsten Anbieter. „Das ist bei uns der Windstrom“, sagt TransnetBW-Pressesprecherin Andrea Jung. Das Problem: Der Strom aus Windenergie ist zwar günstig, kann aber wegen der fehlenden Netzkapazität

 

Der Netzausbau ist der größte Hebel für die Energiewende.
Jens Langbecker, Leiter Systembetrieb bei der TransNetBW
 

nicht immer bis in den Süden geleitet werden. Dann muss gegengesteuert werden. Um eine Netzüberlastung zu verhindern, weisen die Wendlinger Stromlotsen dann einen „Redispatch“ an. Dabei werden Kraftwerke hochgefahren, die zuvor als Bereitschaft einge­plant wurden. Diesen Service lassen sich die Stromerzeuger teuer bezahlen. Das treibt auch die Netz­entgelte in die Höhe. Deutschlandweit wurden 2022 4,2 Milliarden Euro für das sogenannte „Engpassmanagement“ ausgegeben. Diese Kosten legen die Netzbetreiber dann auf die Kunden um.

Deshalb werde mit Hochdruck am Netzausbau gearbeitet. Die Stromtrasse Suedlink sorgte in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen. Bis 2045 sollen weitere Trassen hinzukommen: Die Suedwestlink und die Nordwestlink sind zwei weitere große Gleichstromtrassen, die den Windstrom von Nord nach Süd transportieren sollen. An beiden Leitungen ist TransnetBW beteiligt. „Der Netzausbau ist der größte Hebel für die Energiewende“, sagt der Systembetriebschef Langbecker. Denn sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität der Stromnetze bis 2045 und zur Sicherheit der Stromversorgung. Auch in Wendlingen soll das Umspannwerk komplett umgebaut werden. Außerdem soll eine sogenannte Statcom-Anlage von Wendlingen aus das Hochspannungsnetz in der Region stabilisieren.

Einen anderen wichtigen Faktor sieht Langbecker im Ausbau sogenannter intelligenter Netze: „Früher ist die Erzeugung dem Verbrauch gefolgt, zukünftig wird das umgekehrt stattfinden“, so Langbecker. Denn auch Unternehmen könnten bei anstehenden Netzengpässen davon profitieren, wenn sie ihren Energieverbrauch reduzieren oder ihre Anlagen daran anpassen. So gebe es jetzt schon Unternehmen, die lokale Energiespeicher auf ihrem Werksgelände haben und bei Bedarf kurzfristig ihren Strombedarf aus dem Netz reduzieren können.

 

Privatkunden steuern Verbrauch

Auch Privathaushalte will TransnetBW dafür sensibilisieren. Mit seiner App „Stromgedacht“ zeigt das Unternehmen wann welche Netzlast zu erwarten ist, wann es sinnvoll wäre, den Stromverbrauch zu reduzieren oder wann es gar sogenannte „Supergrün“-Phasen im Netz gibt, in denen der Strom aus erneuerbaren Energien das Angebot der fossilen übertrifft. Es habe etliche Anfragen von Hausbesitzern gegeben, die wissen wollten, ob sich die TransnetBW-Software an ihre Haustechnik koppeln ließe, wirft Pressesprecher Schilling ein.

Und sie wurde geschaffen: Mithilfe einer Softwareschnittstelle können technikaffine Hausbesitzer nun ihre großen Stromverbraucher, von der Wärmepumpe über Spül- oder Waschmaschine bis hin zur Wallbox fürs E-Auto in der Garage nach dem derzeitigen Stromangebot betreiben lassen. So lässt sich der Verbrauch besonders netzdienlich oder ökologisch steuern.