Zwischen Neckar und Alb
Betriebsrentner beklagen Abzocke

Ruhestand Empfänger einer betrieblichen Altersvorsorge müssen rund ein Fünftel der Zusatzrente an die Kranken- und Pflegeversicherung abführen. Betroffene gründen Selbsthilfeverein. Von Peter Dietrich

Es ist für viele ein Schock beim Eintritt in die Rente: Wer gehofft hatte, fürs Alter finanziell gut vorgesorgt zu haben, dem hat die Bundesregierung vor 16 Jahren klammheimlich die Freude genommen. Denn von der Auszahlung einer betrieblichen Altersvorsorge fällt seither ein knappes Fünftel für die Kranken- und Pflegeversicherung weg.

Das bittere Loch in der Altersvorsorge haben Hans-Jürgen Butschler aus Reichenbach, Werner Eppinger aus Plochingen, Michael Rahnefeld aus Geislingen und Silver Vogel aus Aichwald längst zu spüren bekommen. Sie alle ärgern sich, dass die Politik ihre Versprechungen beim Thema „betriebliche Altersvorsorge“ - auch Direktversicherungen genannt - gebrochen habe. Sie alle engagieren sich deshalb in der neuen Regionalgruppe Alb-Fils-Neckar-Rems des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten (DVG). Bisher zählt die Regionalgruppe rund 70 Mitglieder.

Die Sache ist etwas kompliziert und mit politischen Nebelkerzen verschleiert - so wie die Gesetzesänderung kurz vor Weihnachten 2003 einer Nacht-und-Nebel-Aktion glich. So mancher merkt die Auswirkungen erst, wenn er in Rente geht und die Abzüge sieht. Der Beschluss gilt rückwirkend, also auch für lange vor 2004 über den Arbeitgeber abgeschlossene Lebensversicherungen. Es gehe um viel mehr als um Peanuts, sagt Eppinger, der ab 1982 in seine „Kapitallebensversicherung über den Chef“ eingezahlt hat. Er zahlt also für die Beiträge von 22 Jahren doppelt. 2004 wurden zwar die Beiträge für die Direktversicherungen innerhalb gewisser Freigrenzen - 2019 waren das 268 Euro im Monat - sozialversicherungsfrei, steuerfrei war bei dieser Entgeltumwandlung sogar der doppelte Betrag.

Aber die Befreiung galt nicht rückwirkend. Im Steuergesetz ist es nicht möglich, eine neue Regelung rückwirkend in Kraft zu setzen, wohl aber bei der Sozialversicherung. Die Gründer der Regionalgruppe sprechen von einem Skandal, sie fühlen sich „abgezockt“. Dass die Befreiung von der Sozialversicherung mit der Entgeltumwandlung quasi vorverlegt wurde, hat unangenehme Nebenwirkungen: Weniger Beiträge bedeuten weniger gesetzliche Rentenansprüche, weniger Krankengeld und weniger Arbeitslosengeld. Seine Verluste bei der gesetzlichen Rente überschlägt Silver Vogel mit 6 000 Euro.

Momentan werden sechs Millionen Betriebsrentner für ihre private Altersvorsorge zu den vollen Beiträgen für Kranken- und Pflegeversicherung herangezogen, sie bezahlen also den Arbeitgeberanteil mit. Dafür hat sich während der Einzahlungsphase ihr Arbeitgeber seinen Anteil gespart, eine versteckte Umschichtung. Nur wer privat versichert ist, wird von den vollen Beiträgen verschont. Der Hintergrund für den Griff in die private Altersvorsorge ist kein Geheimnis: Das marode Krankenversicherungssystem brauchte dringend neues Kapital, so beschloss die rot-grüne Bundesregierung mit Unterstützung der CDU/CSU - nur die FDP und die damalige PDS stimmten dagegen - das GKV-Modernisierungsgesetz. Es trat 2004 in Kraft. Der volle Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrag auf Betriebsrenten und Direktversicherungen wurde fortan jenseits einer Freigrenze ab dem ersten Euro fällig. Ende 2019 hat sich die Politik der „Doppelverbeitragung“ angenommen, aus der Freigrenze ist ab 2020 ein Freibetrag von monatlich 159,25 Euro geworden. Wer mehr bekommt, zahlt den vollen Krankenversicherungsbeitrag nur noch für die übersteigende Summe. Bei der Pflegeversicherung bleibt alles beim alten, der volle Beitrag gilt weiterhin ab dem ersten Euro.

Bekommt jemand eine hohe Einmalzahlung, wird diese wie bisher auf zehn Jahre umgerechnet. „Das ist nur eine kosmetische Änderung“, sagt Vogel. Die Regionalgruppe verweist auf eine Beispielrechnung in der Fernsehsendung „Marktcheck“: Durch die auf eine Einmalzahlung von 53  000 Euro fälligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge kam dort ein Versicherungsexperte auf eine Rendite von lediglich einem Prozent. Eine Lösung, welche die Doppelverbeitragung komplett beendet und ausgleicht, würde, so argumentierte der Esslinger CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Grübel in einem Antwortschreiben an ein DVG-Mitglied, einmalig rund 40 Milliarden Euro kosten und sei „nicht finanzierbar“. Zum Ausgleich der dauerhaften Ausfälle sei dann bei der Krankenversicherung eine Erhöhung des Beitragssatzes um etwa 0,2 Prozentpunkte nötig.