Zwischen Neckar und Alb
Bilder von den Opfern waren tabu

Ausstellung Im Esslinger Stadtmuseum sind Fotos des Ersten Weltkriegs aus der Sammlung des Fabrikantensohns Hans Kienlin zu sehen. Von Dagmar Weinberg

Die Militär- und Zensurbehörden aller kriegführenden Staaten reglementierten, welche Aufnahmen von der Front dem Publikum im In- und Ausland vorgeführt werden sollten. Die Toten der eigenen Seite wurden kaum gezeigt. Deshalb war die private Kriegsfotografie offiziellen Stellen immer ein Dorn im Auge: In allen Armeen wurden Verbote erlassen, unautorisiert an der Front zu fotografieren, was sich im Schützengraben leicht umgehen ließ.

Patriotismus sowie die konventionellen Regeln und Tabus bestimmten die Motivwahl aber auch abseits des offiziellen Fotografierens. Dennoch zeigen Aufnahmen, die deutsche Soldaten privat an der Front machten, den Alltag des Grabenkriegs realistischer als die zensierte Presse und vermitteln deutlicher die Verluste der eigenen Seite - wenn auch indirekt, etwa durch Aufnahmen zertrümmerter Unterstände oder Geschütze.

Die „Sammlung Kienlin“ besteht im Kern aus 619 Negativen und 369 Abzügen, aufgenommen 1915 bis 1918. Zur Sammlung gehören Listen mit knappen Bild­erläuterungen sowie Angaben zur Konkordanz von Negativen und Abzügen. Hans Kienlin war Sohn des Fabrikanten Emil Kienlin. Er besuchte zunächst das Esslinger Gymnasium und wechselte wegen mäßiger Noten auf die Stuttgarter Handelsschule, die er im Sommer 1914 als Diplom-Kaufmann abschloss. Zum Jahresende 1914 wurde er als Kriegsfreiwilliger vom 1. Württembergischen Feldartillerieregiment in Ulm angenommen. Mitte Juni 1915 meldete er sich als Ersatz zum Württembergischen Feldartillerieregiment 116, das an der Westfront schwere Verluste erlitten hatte. Bei diesem Regiment blieb Kienlin bis Kriegsende. Mit ihm wurde er 1915 in der Schlacht von Arras, danach in Litauen und Weißrussland eingesetzt. 1916 folgten die Schlacht von Verdun und die Somme-Schlacht.

Besonders dicht dokumentierte er den Stellungskrieg in den Vogesen. Die Aufnahmen veranschaulichen die hohe Qualität von Hans Kienlins Fotoausrüstung. Inhaltlich wirken Hans Kienlins Aufnahmen eher konventionell. Gefechtsszenen sucht man in der „Sammlung Kienlin“ vergeblich. Die Kameras der Zeit waren zwar kompakt geworden, ihre verkürzten Belichtungszeiten taugten aber immer noch nicht für eilige Aufnahmen oder bewegte Szenen.

Verluste und Tod in den eigenen Reihen bannte auch Hans Kienlin nur indirekt im Bild - üblicherweise in Form zerschmetterter Geschütze oder des Grabkreuzes seines gefallenen Burschen. Der eigentliche „Held“ von Kienlins Fotosammlung ist das Regiment. So dominieren Bilder vom Alltag in den Gräben, Unterständen und Quartieren. Hinzu kommen Porträts seiner Offizierskameraden, die als Andenken dienten und zudem geeignet waren, um sie auf Postkarten zu drucken und mit der Feldpost zu versenden.

Zur „Sammlung Kienlin“ gehören neben den Kriegsaufnahmen der Jahre 1915 bis 1918 weitere Fotogruppen. Eine davon stammt ebenfalls aus den Jahren des Ersten Weltkriegs. Es sind Aufnahmen, die von Hans Kienlins späterem Schwager Wolfgang Mülberger gemacht oder zumindest gesammelt wurden. Zu sehen sind Esslinger Straßenszenen, Einzel- und Gruppenporträts von Pennälern, Familienfotos, verwundete Soldaten, wohl Patienten aus Esslinger Lazaretten.

Für Historiker sind Fotografien problematische Geschichtsquellen. Zwar umgibt sie eine Aura der Authentizität. Bedingt durch die jeweilige Perspektive des Fotografen bleiben sie aber trotzdem subjektiv.