Kirchheim. Das grüne Wahlmobil des Ministerpräsidenten steht am Samstagmittag unscheinbar vor dem Alten Gemeindehaus am Kirchheimer Alleenring, flankiert von der schwarzen Limousine seiner Bodyguards und von einem Polizeifahrzeug. Der Sicherheitsauftrieb hält sich in Grenzen: wenige Männer in Uniform, ein paar völlig „Unauffällige“ im schwarzen Anzug mit „Knopf im Ohr“. Der Saal ist rappelvoll, das Interesse am ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik groß.
Kurz will sich Winfried Kretschmann fassen bei dem Stehempfang, einem von vier oder fünf Auftritten an diesem Tag. „Geht’s so?“ fragt er die Leute, nachdem das Mikro nachgeregelt ist und erntet damit erste Sympathie. Und dann reißt er über eine halbe Stunde lang die Besucher mit. „Sein“ Land Baden-Württemberg sei in einer hervorragenden Verfassung nach fünf Jahren grün-roter Regierung. Wirtschaftlich on top, mit einer ökologisch, aber auch ökonomisch ausgerichteten Politik, zukunftsorientiert, innovativ wie kein zweites Bundesland. Dabei bodenständig und sparsam – hat es die Regierung doch geschafft, vier Jahre nacheinander ohne neue Schuldenaufnahme auszukommen.
Dringlichstes Anliegen ist Kretschmann die enorme Herausforderung der Flüchtlingspolitik. Er wittert dahinter eine europäische Krise in der Krise. Wohin es führt, wenn jeder Staat sein Süppchen kocht, habe man vor 1945 gesehen, der europäische Gedanke erst habe die Länder zu Frieden und Wohlstand gebracht. Sehr emotional wird der Ministerpräsident, als er an demagogische und nationale Strömungen erinnert, die „zu Krieg geführt haben. Das ist Gift und hat Unglück über die Völker gebracht.“ Eine Wahl der AfD erscheint ihm nicht nur deshalb absurd.
Knitz erinnert Kretschmann daran, dass er nicht vom politischen Gegenspieler Guido Wolf als „Kanzlerinnenversteher“ bezeichnet werden mag, hat er doch ganz reale Gründe, Angela Merkels „Wir-schaffen-das“-Politik zu befürworten. Fluchtursachen müssten beseitigt, die Lager besser ausgestattet werden, dafür müssten Gelder fließen. „Da muss für Waffenruhe gesorgt und die Lage stabilisiert werden. Wenn wir auf Schließung der Grenzen setzen, hat das fatale Folgen in Europa. In kürzester Zeit stehen die Bänder still, bestehende Wirtschaftsprobleme zum Beispiel in Polen oder Frankreich wachsen.“
Wirtschaftlicher Fortschritt kombiniert mit Umweltschutz ist ein großes Anliegen Winfried Kretschmanns. So hat er jüngst ein Umweltabkommen mit dem US-Staat Kalifornien abgeschlossen. Der Ministerpräsident ist sich sicher: Erst wenn ökologische Maßnahmen ökonomischen Erfolg versprechen, folgen andere Regionen. „In China geht jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Da können wir hier den radikalsten Klimaschutz machen, das bringt alles nix.“
Bildung heiße das Zauberwort, das auch in Zukunft dem Land einen Spitzenplatz in Sachen Kreativität und Innovation sichern könne. Es brauche Schulen und Kinderbetreuung für alle, unabhängig vom familiären Hintergrund. Winfried Kretschmann sieht Baden-Württemberg bestens gerüstet, wenn nicht gar an der Spitze der Bundesrepublik. „Jeder Euro, den Sie da reingeben, hat viel stärkere Effekte, als wenn Sie ihn später investieren.“ Ein Thema, das dem früheren Biologielehrer unter den Nägeln brennt – da redet er schon mal ohne Punkt und Komma und macht den Zuhörern klar, wie viel die grün-rote Landesregierung in den letzten fünf Jahren vom Kindergarten bis zur Hochschule bewegt hat.
Zum guten Schluss packt der Landeschef die Baden-Württemberger bei ihrer Heimatverbundenheit und ihrer Liebe zum Ländle, das so viel Natur und Kultur und so viele fleißige Leut' zu bieten hat und dankt ihnen für ihr großes ehrenamtliches Engagement.
Ehrensache war es für Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, den Ministerpräsidenten persönlich zu begrüßen. Sie erinnerte an ein Wahlkampfszenario vor fünf Jahren, als Kretschmann als Landtagskandidat von Bündnis 90/Die Grünen vor deutlich weniger Menschen am Rathaus sprach. Die Wahl brachte den Grünen den Erfolg. „Ich wünsche mir, dass dieser Erfolg über den 13. März hinaus fortgesetzt wird“, sagte die Rathauschefin. Die Unterstützung, die die Kommunen in den vergangenen Jahren erfahren haben, das „offene Ohr“ und das Sich-Begegnen auf Augenhöhe, das tue gut. Die enormen Aufwendungen der Stadt für Bildung und Betreuung ließen sich ohne Unterstützung des Landes nicht stemmen. Kirchheim werde sich in der Flüchtlingsunterbringung den „großen Herausforderungen stellen“. Man werde in den nächsten zwei Jahren 18 Millionen Euro in den Bau von Sozialwohnungen stecken. Ein Integrationsprogramm sei auf dem Weg.