Zwischen Neckar und Alb
Blick zurück ins frühe Universum

Wissenschaft Andreas Wicenec leitet ein Wissenschaftsteam, das für den Gordon-Bell-Preis für Supercomputing nominiert wurde. Von Henrik Sauer

Die Dimensionen sind schlicht gigantisch: Mehr als 130 000 Antennen, die über ein Gebiet von etwa 65 Kilometer Durchmesser verteilt sind. Pro Sekunde werden sie rund 550 Gigabyte Daten erzeugen. Und das ist nur der erste Teil des riesigen Teleskops, das in der westaustralischen Wüste entstehen wird. „Wenn das SKA fertig ist, wird es das größte Radioteleskop der Welt und einer der größten Datengeneratoren der Welt sein“, sagt Andreas Wicenec. Der 60 Jahre alte Professor für datenintensive Astronomie an der University of Western Australia leitet ein internationales Team, das sich mit diesem Projekt befasst. Das Team war einer von sechs Finalisten, die für den renommierten Gordon-Bell-Preis für herausragende Leistungen im Hochleistungsrechnen nominiert waren. Der Preis gilt auch als Nobelpreis für Supercomputing.

Schüler in Kirchheim

Andreas Wicenec ist in Nürtingen geboren. Nach dem Besuch der Neckarrealschule in Nürtingen und des Technischen Gymnasiums in Kirchheim studierte er Physik und Astronomie in Tübingen. Dort machte er auch seine Doktorarbeit. Astronomie ist seit seiner Kindheit seine Leidenschaft. Mit seinem Fernrohr saß er nächtelang draußen und beobachtete den Himmel, berichtet er.

Ende der 80er-Jahre arbeitete er in einem Satellitenprojekt der europäischen Weltraumorganisation ESA mit und war an dessen Datenauswertung beteiligt. Nach einer kurzzeitigen Station in Kopenhagen landete er bei der europäischen Südsternwarte in Garching bei München. Zuletzt hat er dort mitgeholfen, beim Alma-Teleskop, das in der südamerikanischen Atacama-Wüste steht, den Datenfluss zu organisieren.

Milliardenschweres Projekt

2010 folgte Wicenec dem Ruf der University of Western Australia, am Square Kilometre Array (SKA) Teleskop zu arbeiten. An dem milliardenschweren Mammutprojekt sind Wissenschaftler und Ingenieure aus 15 Ländern beteiligt. Der Bau der ersten Phase soll dieses Jahr beginnen und etwa acht Jahre dauern. Dabei wird etwa ein Zehntel des SKA umgesetzt. In der zweiten Phase werden dann tausende von Parabolantennen und wahrscheinlich Millionen von Niederfrequenz-Dipolantennen zusammen eine Sammelfläche für Radiowellen von einem Quadratkilometer bilden. Daher auch der Name SKA.

Das ist aber noch nicht alles: Der Mittelfrequenzteil des Teles­kops wird in Südafrika gebaut. Dieses wird in der ersten Phase circa 200 Parabolantennen mit einem Durchmesser von je 15 Metern umfassen. Der Abstand von zwei dieser Antennen kann bis zu 150 Kilometer betragen.

Um die Menge an Daten, die ein solch riesiges Teleskop erzeugt, zu verarbeiten, bedarf es einer enormen Rechenleistung. Das Team von Andreas Wicenec benutzte für eine Simulation der ersten Phase des Projekts den Supercomputer Summit, der in den USA beim Energieministerium steht. Er galt zu dem Zeitpunkt als der schnellste Computer der Welt. „Wir bekamen Zeit, den Rechner zu benutzen“, erzählt Wicenec. Genauer gesagt hatte sein Team sechs Stunden zur Verfügung. „Die gesamte Simulation lief etwa drei Stunden mit durchschnittlich 64,9 Petaflops pro Sekunde“, berichtet er. Das heißt, bei der Simulation wurden 64 900 000 000 000 000 Berechnungen pro Sekunde ausgeführt. Es ging es um die Frage, ob eine solch riesige Datenmenge überhaupt verarbeitet werden kann. Das Ergebnis: „Wir könnten mit zwei Rechnern dieser Größenordnung die Daten des kompletten Teleskops in Echtzeit auswerten“, berichtet Wicenec.

Obwohl bis zur Fertigstellung des SKA noch einige Jahre ins Land gehen werden, müsse aufgrund der hohen Kosten für solche Rechner - einer kostet etwa 250 Millionen Dollar - die Technologie und Software noch deutliche Fortschritte in Bezug auf Energieeffizienz und Datendurchsatz machen, sagt Wicenec: „Wir müssen etwa 100 bis 150 mal effektiver sein als heute.“

100 Millionen Jahre nach Urknall

Was wird mit dem Teleskop erforscht? Beim Schlüsselprojekt des Niederfrequenzteleskops geht es um Beobachtungen des frühen Universums, erklärt Wicenec: „Das Modell, das wir für unsere Simulation verwendet haben, beschreibt unsere derzeitige Vorstellung des Universums etwa 100 Millionen Jahre nach dem Urknall. Das liegt circa 13,2 Milliarden Jahre zurück, und wir brauchen das SKA, um das beobachten und damit verifizieren zu können.“

An der University of Western Australia in Perth ist Andreas Wicenec, der mit seiner Frau und den drei Kindern seit elf Jahren in der australischen Metropole lebt, einer der Direktoren des Internationalen Zentrums für Radioastronomieforschung. Dort leitet er eine Gruppe von zwölf Leuten plus fünf bis acht Studenten, die hauptsächlich an dem SKA-Projekt arbeiten. Das Teleskop entsteht im westaustralischen Outback, rund 800 Kilometer weit entfernt von Wicenecs Arbeitsplatz. „Dort lebt so gut wie niemand“, berichtet er. „Es ist dort extrem flach und es gibt keine störenden Radiosender und Handys“, so Wicenec.

Zum Gordon-Bell-Preis hat es dann am Ende nicht ganz gereicht. Das Team von Wicenec wurde im Finale Zweiter. Darüber ist er aber keineswegs enttäuscht: „Wir waren überrascht, aber begeistert, Finalist zu sein“, sagt er: „Angesichts des Kalibers der bisherigen Gewinner und der hochentwickelten Art ihrer Projekte habe ich überhaupt nicht damit gerechnet. Es ist fantastisch, dass die bemerkenswerte Leistung des multinationalen Teams anerkannt wird.“