Ich widme dies Sonett Herrn Josef Klein, für den ich sonst nichts tun kann“ - so beginnt ein Gedicht Berthold Brechts, das erst vor wenigen Jahren in einem Nachlass als Durchschrift auftauchte. Wer war dieser Josef Klein?
Eigentlich hieß er Otto und stammte aus Roßwälden. Dass er von Brecht ein literarisches Denkmal erhielt, hat er einem dramatischen Ereignis zu verdanken. Klein hatte einen Mord begangen und war dafür 1927 in Augsburg guillotiniert, also enthauptet worden. „Das Ereignis war damals das Gesprächsthema in Augsburg“, weiß Uwe Geiger, Ebersbachs Stadtarchivar. Und so war es auch in der lokalen wie überregionalen Presse ausgiebig behandelt worden. In Ebersbach aber eher nicht. „Nur eine Meldung findet sich am 21. Februar 1927, die vom Todesurteil berichtet“, erzählt der Archivar.
Zeuge der Ereignisse in seiner Heimatstadt war Berthold Brecht, „der damals öfter in Augsburg war“. Er scheint mit dem medialen Echo auf den Prozess und auch mit dem Todesurteil nicht einverstanden gewesen zu sein. Einige Zeitungen „berichteten sehr unseriös“. Heute unvorstellbar - damals wurden alle Protagonisten mit Namen und Wohnort genannt.
Jedenfalls scheinen den Lyriker und Dramatiker die Ereignisse so nachhaltig beeindruckt zu haben, dass er die Hinrichtung in seinem Sonett thematisierte. „Sie fand zwar nicht öffentlich statt, aber nachdem das Totenglöckchen geläutet hatte, wussten alle Augsburger Bescheid“, so Geiger. Mehrere Tausend sollen dann zur Hinrichtungsstätte gekommen sein.
Jetzt sind der Mord und das Gedicht Gegenstand einer Forschungsarbeit geworden. Der Augsburger Literaturwissenschaftler und Leiter der Brecht-Forschungsstätte der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg hat Zeitungsberichte akribisch aufgearbeitet und in seinem Buch „So machten die’s mit was aus Fleisch und Bein“ - es ist eine Zeile des Sonetts - die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlicht.
Wer war nun dieser Otto Klein? Uwe Geiger hat sich auf seine Spuren gemacht und bedauert, „dass es im Stadtarchiv so gut wie keine Unterlagen gibt“. Er weiß aber, dass Otto Klein 1902 in Roßwälden in einer Bauernfamilie zur Welt kam. Mit 13 Jahren war er Waise, erhielt einen Onkel als Vormund. Ein Jahr später wurde er aus der Schule entlassen und kam als Knecht zu Bauern in Oberschwaben. Er besuchte die Landwirtschaftsschule in Reutlingen und war ein guter Schüler. Es trifft also nicht zu, was in der Augsburger Allgemeinen Zeitung stand. Die hatte ihn als dumm und arbeitsscheu beschrieben.
Geiger denkt vielmehr, dass Klein „ein Opfer der Zeitumstände war“. In den zwanziger Jahren war die Not groß, er konnte der Versuchung nicht widerstehen und beging kleinere Diebstähle. Die Strafen waren drakonisch. Mehrere Monate saß er immer wieder ein. Regelmäßig trat er unter falschen Namen auf. Als er sich als Gutspächter für einen Hof am Ammersee bewerben wollte, standen dem zwei Umstände entgegen: Er war vorbestraft und hatte keine Ehefrau. Auf eine Anzeige im Schwarzwälder Boten meldete sich eine Frau.
Jetzt brauchte er nur noch eine andere Identität. Eine vermeintliche, allerdings dramatische Lösung bot sich ihm in seinem Kollegen Albert Blau. Er ermordete ihn und verscharrte die Leiche in einem Wald. Allerdings wurde die bald gefunden, und schnell klärten sich die Umstände. Im Remstal wurde er verhaftet und kam nach Augsburgs ins Gefängnis. Bei der Gerichtsverhandlung im Februar 1927 sagten ein älterer Bruder und der Roßwälder Pfarrer zugunsten von Otto Klein aus. - Vergeblich. Am 2. Juli vollstreckte der Scharfrichter Johann Reichhardt das Todesurteil. Er war es auch, der am 22. Februar 1943 die Geschwister Scholl enthauptete.
Auch wenn das Schicksal von Otto Klein Dank des Sonetts von Berthold Brecht nicht ganz dem Vergessen anheimfiel - es gibt bislang kein Foto von ihm. Und so hofft Uwe Geiger, dass sich vielleicht in der einen oder anderen Ebersbacher Familie noch ein Konfirmationsfoto aus dem Jahr 1916 findet, auf dem der „Bauernbub aus Roßwälden, der in die Weltliteratur eingegangen ist“, zu identifizieren ist. Er hat übrigens auch eine am 11. Januar 1925 unehelich geborene Tochter hinterlassen: Sie ist verschollen.