Weilheim und Umgebung
Brennstoffzelle: Der Wunsch-Standort heißt Weilheim

Wirtschaft Cellcentric möchte in Weilheim eine „grüne Fabrik“ für seine Wasserstoffantriebe bauen. Bei einer Infoveranstaltung ging es um Chancen und Risiken. Auch das Thema Bürgerentscheid kam erstmals öffentlich zur Sprache. Von Bianca Lütz-Holoch 

Seit 25 Jahren wird in Nabern an der Brennstoffzelle geforscht. Künftig allerdings könnte es die Stadt Weilheim sein, deren Name untrennbar mit der Entwicklung und dem Bau innovativer Wasserstoffantriebe verbunden ist: Das Gebiet Rosenloh in Weilheim ist der Wunsch-Standort der Firma Cellcentric – ein Joint Venture von Daimler Truck und Volvo – für den Bau einer „grünen Fabrik“, in der sie Forschung, Entwickung und Produktion von Brennstoffzellenmodulen vereinen möchte.

Information und Dialog

In der Weilheimer Lindach-Sporthalle hat nun eine Informations- und Dialogveranstaltung zur Ansiedlung des Brennstoffzellen-Herstellers stattgefunden. „Es gilt, Vor- und Nachteile abzuwägen“, stellte Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle klar. Neben der Geschäftsführung des Unternehmens kamen auch Vertreter aus den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Städtebau und Landwirtschaft zu Wort. An verschiedenen Stationen konnten sich die Bürger mit ihnen austauschen. Klar wurde: Eine Ansiedlung von Cellcentric am Standort Weilheim birgt große Chancen. Kritische Stimmen kamen allerdings von den Naturschutzverbänden. Sie prangerten den Flächenverbrauch an und brachten erstmals öffentlich das Thema Bürgerentscheid in Spiel.

Was genau hinter dem geplanten Werk in Weilheim steckt, erläuterten Dr. Matthias Jurytko und Professor Dr. Christian Mohrdieck. Nach 25 Jahren Forschung wolle man jetzt in die Serienproduktion gehen. Gebaut werden sollen in Weilheim vor allem Brennstoffzellen für die Schwerlaster der Anteilseigner Volvo und Daimler Truck sowie für emissionsfreie Notstromaggregate der zu Rolls Royce gehörenden MTU.

 

„Für die Bekämpfung der Klimakrise ist kaum ein Produkt so wichtig wie die Brennstoffzelle.
Dr. Walter Rogg, Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
 

„Unser großes Ziel ist der Klimaschutz“, sagte Cellcentric-Geschäftsführer Matthias Jurytko. Gerade der Schwerlastverkehr trage maßgeblich zur Umweltverschmutzung bei. „Sein Anteil am globalen, menschgemachten CO2-Ausstoß beträgt fünf Prozent.“

„Für die Bekämpfung der Klimakrise ist kaum ein Produkt so wichtig wie die Brennstoffzelle“, zeigte sich Dr. Walter Rogg, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, überzeugt. „Durch die in der Fabrik in Weilheim produzierten Brennstoffzellen würden so viele CO2 Emissionen verhindert, wie 3,3 Millionen Pkw heute ausstoßen. Das entspricht etwa der Hälfte der Autos in Baden-Württemberg.“

400 neue Arbeitsplätze

Dass sich ein globales Unternehmen, das ein Musterbeispiel für Transformation und Nachhaltigkeit ist, in Weilheim verwurzeln möchte, sieht er als enorme wirtschaftliche Chance. Letztendlich soll es zu den 300 vorhandenen 400 neue Arbeitsplätze geben. Und zwar in ganz verschiedenen Bereichen, wie Cellcentric-Geschäftsführer Dr. Matthias Jurytko betont. „Wir benötigen ein breites Spektrum an Qualifikationen.“ Die bisherigen Standorte in Nabern und der Esslinger Pliensauvorstadt sollen in Weilheim zusammengeführt werden. Dort würden sich Vertrieb, Verwaltung, Entwicklung und Produktion an einem Standort befinden. Der Zeitplan ist straff: Der Baubeginn ist bereits für 2023 geplant, 2026 soll die Produktion starten.

Wichtig ist dem Unternehmen auch der Klimaschutz bei der Produktion selbst. Deshalb wurde ein Modell für eine „grüne Fabrik“ vorgestellt, die ihre Energie ausschließlich aus nachhaltigen Quellen bezieht, mit Fotovoltaik ausgestattet ist und deren Dächer und Fassaden begrünt sind. „Man könnte sogar Holzbauweise verwenden“, sagte Professor Dr. Christian Mohrdieck, ebenfalls in der Geschäftsführung von Cellcentric.

Das Gebiet Rosenloh hat die Stadt Weilheim schon seit Jahren für eine Gewerbeansiedlung ins Auge gefasst. Dort sind weder Schutzgebiete noch Grünzüge ausgewiesen. Auch die Nähe zur Autobahn ist ein Pluspunkt. Mehr noch: Mit dem Gewerbegebiet soll auch eine Umgehungsstraße im Norden kommen. „Sie würde den neuralgischen Punkt an der Aral-Kreuzung entlasten“, erläuterte Stefan Wammetsberger, Geschäftsführer des Verkehrs- und Ingenieurebüros Koehler und Leutwein. Außerdem sollen neue Radwege entstehen und Ideen für nachhaltige Mobilität einfließen.

Kritik an Flächenverbrauch 

Bedenken kommen von Seiten des Naturschutzes. „Unser Hauptthema ist nach wie vor die Flächenversiegelung“, sagte Dirk Unkelbach von der NABU-Ortsgruppe Weilheim. Deren Position: Brennstoffzelle und grüne Fabriken ja – allerdings nicht, wenn sie auf bislang unversiegelten Flächen entstehen. „Wir denken, es sollten alle Bürger darüber entscheiden“, ließ Dirk Unkelbach durchblicken, dass er in Sachen Cellcentric einen Bürgerentscheid anstrebt.

Das Thema Flächenverbrauch wird auch von der Landwirtschaft als negativer Aspekt angeführt. Ihre Existenz sehen die Weilheimer Landwirte jedoch nicht gefährdet, da Tauschflächen vorhanden sind.

 

Rund 110 Interessierte waren am Freitag nach Schätzungen der Stadt in die Lindach-Sporthalle gekommen. Möglich war die Veranstaltung – die bei Maskenpflicht und Abstandsgebot, aber ohne 3G stattfand –, weil die Corona-Verordnung Einwohnerversammlungen auch in der aktuellen Situation zulässt. Knapp 80 weitere Zuschauer folgten dem Geschehen per Online-Stream von zuhause aus.

 

Bis Juni soll das Bürgergutachten stehen

Um sich ein Bild über die Positionen in der Bevölkerung zur Ansiedlung des Brennstoffzellen-Entwicklers Cellcentric im Gebiet Rosenloh zu verschaffen, hat die Stadt Weilheim ein Bürgergutachten angestoßen. Es wird im Rahmen eines umfangreichen Beteiligungsprozesses erstellt.

Gestartet ist der Prozess Anfang Oktober mit einem Runden Tisch. Ihm gehören Vertreter der Stadtverwaltung und des Unternehmens ebenso an wie Stadträte, Experten aus Naturschutz, Wirtschaft und Landwirtschaft.

Ein weiterer Baustein ist die Informations- und Dialogveranstaltung am Freitag gewesen. Ihr konnten Interessierte in der Lindachsporthalle oder per Online-Stream folgen.

Weiter geht es am 26. November mit der ersten Bürger-Werkstatt. An ihr nehmen 25 zufällig ausgewählte Bürger teil. Sie wägen Chancen und Risiken des Vorhabens ab und formulieren Fragen an Experten und Interessenvertreter.

Eine Experten-Anhörung, zu der neben Fachleuten auch die Vertreter des Runden Tischs eingeladen sind, folgt am 8. Dezember. In einer zweiten Bürgerwerkstatt am 11. Januar wird eine Empfehlung ausgearbeitet.

Ende Januar wird das Bürgergutachten – das jedoch nicht bindend ist – dem Gemeinderat übergeben. Er soll im Februar entscheiden. bil