Sängerin Sandra Schöne muss mal durchatmen, nachdem sie 45 Minuten lang in flottem Tempo ein Lied ums andere angestimmt hat. „Wir machen eine kleine Pause“, sagt sie. Die Mitglieder ihres Chores würden auch durchsingen: Gut 25 Frauen und Männer, fast alle im Seniorenalter, haben viel Schwung und Ausdauer ins evangelische Gemeindehaus in Brucken mitgebracht. Alle zwei Wochen kommen sie zu „Unvergesslich – Singen fürs Herz“ zusammen, mit oder ohne Demenz, mit oder ohne sonstige Beeinträchtigung.
„Ich sing mit Leib und Seele“, sagt Leni Polzer. Sie hat einst selbst einen Chor mitgegründet und war 50 Jahre lang aktiv dabei. Aber als die Augen nachließen, wurde das schwierig. „Da hab ich aufhören müssen“, erzählt die 85-Jährige, die zusammen mit ihrer Freundin Rose Sailer zu „Singen fürs Herz“ kommt. Die beiden Frauen lachen sich in der Singstunde immer wieder fröhlich zu.
Da kommt so viel Dankbarkeit zurück, die saugen das auf wie ein Schwamm.
Sandra Schöne, freiberufliche Sängerin
Gertrude Grau wird von ihrer Tochter begleitet – zwei schöne, gemeinsame Stunden für beide. Obwohl der Kopf sonst nicht immer so will wie sie, kann die 92-Jährige viele Liedtexte noch auswendig und möchte die Singstunde „nicht missen“. Das geht Reinhard Bohnacker genauso. Weil seine Schwiegertochter, die ihn sonst begleitet, an diesem Nachmittag keine Zeit hatte, machte sich der Owener kurzerhand mit dem E-Rollstuhl selbst auf den Weg. „Das sind ja bloß acht Kilometer“, meint er.

Wiedergefundene Zugehörigkeit
Laut und kräftig tönt es im Gemeindehaus, Vers um Vers, selbst wenn es ein Dutzend davon gibt. Die Lieder im Liederbuch der Evangelischen Heimstiftung sind allen bekannt, und manchmal kennt jemand darüber hinaus einen „alternativen“ Text, vielleicht ein bisschen zweideutig, was die anderen mit Lachen quittieren. Alternative Melodien werden ebenfalls vorgetragen, die Senioren singen ohne Scheu auch solo vor. „Mittlerweile getrauen sie sich richtig“, freut sich Sandra Schöne, die mit viel Herz und Humor durch die Singstunde führt.
Die Idee für diesen Chor kam vom Verein „Unser Netz“, wo man weiß, dass die Älteren sich manchmal in ihren angestammten Chören nicht mehr am richtigen Platz fühlen: weil die Proben am Abend sind, „weil ihre Stimme nicht mehr so gut ist, weil sie nicht mehr so leicht neue Lieder lernen, weil sie nicht mehr so mobil sind und der Proberaum nicht barrierefrei ist“, zählt Gabriele Riecker, die Leiterin der Geschäftsstelle von Unser Netz, einige Gründe auf. Umso dankbarer ist sie der Evangelischen Kirchengemeinde, die ihren ebenerdigen Raum zur Verfügung stellt. Besonderer Dank gilt auch den lokalen Chören. Vor dem Start des Projekts hat Riecker mit ihnen Kontakt aufgenommen, mit der Bitte, eventuell Ehemalige anzusprechen. Denn „Singen fürs Herz“ soll keine Konkurrenz sein, sondern eine Ergänzung. Mit Unterstützung der Chöre konnten tatsächlich einige, die zu singen aufgehört hatten, wieder aktiviert werden.
Es wäre auch jammerschade, diesen klingenden Schatz nicht zu heben, der nun sehr solide einen Kanon vorträgt und im Oktober beim Seniorennachmittag auftreten wird. Die alten Lieder wecken Erinnerungen und regen das Gedächtnis an, vor allem aber machen sie Spaß. Das findet auch Sandra Schöne, die als freiberufliche Sängerin einen Schwerpunkt aufs Singen mit Senioren setzt. „Da kommt so viel Dankbarkeit zurück, die saugen das auf wie ein Schwamm“, sagt sie.
„Wir bekommen eigentlich nur positive Rückmeldungen, sowohl von den Senioren als auch von den Angehörigen“, bestätigt Gabriele Riecker. Manche würden erzählen, dass sie lange nicht mehr so gut geschlafen haben wie nach dem Singen, berichtet Erika Pauler, eine der Ehrenamtlichen, die das Projekt mit Fahrdiensten unterstützen und während der Singstunde dabei sind.
Einfach kommen, wann man mag
Die Chorstunden finden jeden zweiten Dienstag um 15 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus in Brucken, Postweg 33, statt. Man kann einfach dazukommen, auch unregelmäßig. Die nächsten Termine sind der 9. und der 23. Juli, dann – nach einmaliger Pause – der 20. August.
„Unvergesslich – Singen fürs Herz“ ist eines von 21 Projekten bundesweit, die im Rahmen des Programms „Länger fit durch Musik“ vom Bundesmusikverband Chor & Orchester gefördert werden. Dabei geht es um „demenzsensibles Musizieren“, wissenschaftlich begleitet von der Musikschule Trossingen. Über diese Förderung kann der Chor bis Ende des Jahres finanziert werden.
Auch danach soll es weitergehen, aktuell versuche man eine Finanzierung fürs kommende Jahr auf die Beine zu stellen, sagt Gabriele Riecker. Spender und Sponsoren sind willkommen und können sich an die Geschäftsstelle von Unser Netz wenden, info@unser-netz.info, Telefon 0 70 26/37 01 98.