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Corona wirkt wie ein Brennglas

Hilfe Die Arbeit der Beratungsstelle Arbeitskreis Leben in Kirchheim und Nürtingen ist derzeit wichtiger denn je. Die Voraussetzungen könnten jedoch schwieriger kaum sein, wie die neue Leiterin Alena Rögele betont. Von Nicole Mohn

Gut 100 Tage ist Alena Rögele Geschäftsführerin beim Arbeitskreis Leben Nürtingen (AKL). Mitten im zweiten Lockdown hat die Psychologin die Leitung von Sina Müller übernommen. Eine herausfordernde Zeit. Die beiden Beratungsstellen für Menschen in Lebenskrisen und mit suizidalen Gedanken sind nach wie vor für den Publikumsverkehr geschlossen. Offene Angebote wie der AKL-Treff liegen auf Eis. Beratungsgespräche führen sie und ihr Team derzeit in den meisten Fällen telefonisch. „Nur wenn es gar nicht anders geht, kommen die Klienten zu uns“, berichtet sie.

„Es ist ungewohnt für alle Seiten“, sagt Alena Rögele. Nur am Telefon mit einem Menschen zu reden, den Gesprächspartner nicht sehen können - das macht die Aufgabe der Beraterinnen umso schwerer. „Sitzt man jemandem gegenüber, kann man seine Mimik, seine Reaktion ,lesen‘, darauf reagieren“, erklärt die Psychologin. Am Telefon hingegen lassen sich Gesprächspausen nicht immer richtig einordnen, erahnt man manchmal nur, was im anderen gerade vorgeht. Aber auch den Klienten gehe es ähnlich: „Auch sie wollen wissen, wer ihnen da gerade gegenübersitzt, wem sie sich öffnen“, erklärt die AKL-Leiterin.

Besonders bedauert das Team, dass derzeit der AKL-Treff im Nürtinger Café Medla bis auf Weiteres ausfallen muss. Gerade dieses niederschwellige Angebot ist einer der wichtigsten Bausteine in der Arbeit der Beratungsstelle. Für chronisch psychisch Erkrankte seien die regelmäßigen Treffen strukturgebend, sagt Rögele. Zu einigen der Männer und Frauen, die das Angebot genutzt haben, ist der Kontakt abgerissen, bedauert die Leiterin. Oft gibt es nicht einmal eine Telefonnummer, unter der man nachfassen könne. Andere Besucher des Treffs halten zumindest untereinander Kontakt.

Schwer wiegt, dass der AKL in Kirchheim derzeit überhaupt keine Angebote machen kann. „Die räumliche Situation lässt das einfach nicht zu“, erklärt die Psychologin. Für Ratsuchende aus der Teckstadt und Umgebung bleibt vorerst nur der telefonische Kontakt - oder eine Fahrt nach Nürtingen. Die Supervision für die ehrenamtlichen Krisenbegleiter hat der Arbeitskreis auf virtuellen Kontakt umgestellt. Für alles andere sind die Räume an der Alleen- straße zu beengt. Alena Rögele hofft deshalb, dass sich für Kirchheim eine Lösung findet, zumindest im Notfall persönliche Beratungen anbieten zu können.

Dass der Bedarf besteht, spürt das Team jeden Tag. „Wir versuchen immer, alle Anfragen zeitnah zu erfüllen“, so Rögele. Doch mitunter wird der Platz im Kalender eng bei den Mitarbeitern. Auch die Pandemie spielt hier mit rein, ist die Leiterin des AKL überzeugt. „Corona wirkt wie ein Brennglas.“ Probleme, die schon vor dem Ausbruch der Viruserkrankung da waren, werden verstärkt. „Das schwingt in den Gesprächen mit unseren Klienten immer wieder mit“, berichtet Rögele.

Zwischen Krisenmanagement und Beratungen bleibt derzeit nicht viel Luft, sich über die weitere Entwicklung des AKL Gedanken zu machen. Mittelfristig, sagt die Leiterin, möchte sie die Arbeit der Beratungsstelle in der Bevölkerung mehr bekannt machen. Vor allem für die Teckstadt sieht sie Nachholbedarf. „Wir haben in Kirchheim deutlich weniger Anfragen als in Nürtingen“, berichtet sie. Auch die räumliche Situation der Beratungsstelle ist für die Arbeit nicht ideal. „Gruppentreffen konnten wir schon vor Corona dort nicht abhalten“, so Rögele. Langfristig soll der AKL in Kirchheim unter dem Dach der Linde unterkommen. Doch das ist zunächst noch Zukunftsmusik.

Froh ist die Leiterin des AKL, dass sie trotz Pandemie voll auf die Unterstützung der Kommunen zählen kann. Auch die Sponsoren halten der Einrichtung die Stange: So habe der Rotary Club, der normalerweise die Einnahmen aus der Musiknacht an den AKL stiftet, trotz Veranstaltungsausfall Geld gestiftet. „Wir erfahren gerade viel Wertschätzung“, freut sich Alena Rögele über die Unterstützung.