Die Akustikmessstrecke in Münsingen ist ein Highlight.“ Das sagt einer, der es wissen muss. Kamal Idrisi, Teamleiter Außengeräusche bei der Daimler Truck AG, schwärmt von den optimalen Arbeitsbedingungen auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz. Die letzten sechs Jahrzehnte nutzte der Konzern eine Teststrecke an den Wernauer Baggerseen im Gebiet der Städte Wernau und Wendlingen sowie der Gemeinde Köngen im Landkreis Esslingen.
Vor jeder neuen Modelleinführung müssen die Fahrzeuge des Nutzfahrzeug-Herstellers auf Herz und Nieren geprüft werden. Dazu gehören auch Geräuschmessungen von vorbeifahrenden Fahrzeugen. Die sogenannte ISO-zertifizierte Akustikmessstrecke in Münsingen gibt es seit eineinhalb Jahren am Rand der ehemaligen Soldatensiedlung Altes Lager, heute Albgut, mit Anschluss an die einstige Panzerringstraße. Eigentümer des rund 27 Hektar großen Areals ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die das Gelände auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz zunächst auf zehn Jahre befristet an die Daimler Truck AG vermietet hat. Die Einweihung der rund 750 Meter langen An- und Auslaufstrecke mit Wendebereichen im Gewann Linsenäcker war im Oktober 2020.
Teststrecke mit Flächenheizung
Bewusst habe man dieses Areal ausgesucht, sagt Verwaltungsmanager Thomas Haarman. Dort sei es mit einem Hintergrundgeräusch von 35 bis 40 dB(A) so leise, dass man sogar Elektro-Lkws messen könne. „Es gibt wenig solcher Orte, hier haben die Ingenieure perfekte Bedingungen“, fügt Akustik-Experte Idrisi hinzu, der dort höchstens mal ein leises Blöken vorbeiziehender Schafe hört. Um die Norm-Vorschrift zu erfüllen, darf es im Umkreis von 50 Metern zu keinen Reflexionen kommen. Hier ist, im Gegensatz zur ehemaligen Teststrecke, alles vorinstalliert. Am alten Standort habe man die komplette Technik auf- und abbauen müssen. Die Strecke in Münsingen verfügt außerdem über eine Flächenheizung, eine Art Fußbodenheizung, da Geräuschmessungen nur auf trockenen Fahrbahnen stattfinden können. Auch darf es nicht zu kalt sein. Unter fünf Grad Celsius läuft nichts mehr. Deshalb finden die Tests in der Regel nur von März bis Oktober statt.
Vergangenes Jahr war auf der Akustikmessstrecke an rund 100 Tagen Betrieb. Pro Messtag finden bis zu 80 Fahrbewegungen statt. Bei den Vorbeifahrten an den beiden hochsensiblen Mikrofonen, die siebeneinhalb Meter links und rechts neben der Fahrbahn stehen, beschleunigen die Testfahrzeuge auf 35 km/h. Die Fahrzeuggeräusche werden dann in die Messwarte übertragen, die nicht weit davon entfernt steht. Die Ingenieure achten dabei darauf, dass die sogenannte ECE-Norm eingehalten wird, die seit 2016 gültig ist. Aktuell dürfen Lastkraftwagen mit mehr als 250 kW Leistung bei einer Vorbeifahrt nicht lauter als 81 Dezibel sein, bis 135 kW sind es 75 dB(A). Vom Jahr 2026 an liegen die Grenzwerte bei 79 beziehungsweise 74 dB(A), informiert Idrisi. Deshalb fährt jedes Fahrzeug auch in der Entwicklung in Münsingen vor. Zudem finden sämtliche TÜV-Abnahmen dort statt. Auch nach einer Änderung der Steuerungssoftware, neuer Motorvarianten oder nach Face-Liftings.
Neben den Vorschriften für maximale Außengeräusche prüft der Autokonzern ebenso die Einhaltung von Vorschriften „für minimales Geräusch“. Das werde bei Fahrzeugen mit Elektroantrieb relevant, damit Fußgänger ein Fahrzeug rechtzeitig wahrnehmen könnten, erklärt Idrisi. EFahrzeuge müssen „ein Geräuschminimum“ überschreiten. Er nennt Beispiele. Bei 10 km/h liegt der Wert bei 53 dB(A), bei 20 km/h 59 dB(A), bei Rückwärtsfahrten 50 dB(A).
Personenkraftwagen werden in Münsingen nicht getestet, sondern in Immendingen (Landkreis Tuttlingen). Dort hat die Mercedes-Benz Group AG seit Ende 2018 ein Prüf- und Technologiezentrum auf einem ehemaligen Gelände der Bundeswehr, wo früher die Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne und der benachbarte Standortübungsplatz waren.